Die Entscheidung von Google (hier im Brief von Larry Page verkündet und hier im Investor Relations-Blog) wird auf Twitter gerade mit Verwunderung und Wortspielen beantwortet, sie ist aber wirtschaftlich konsequent.
Anschließend an meine ersten Erklärbär-Texte überhaupt im Internet hier kurz eine Erläuterung:
Eine Holdingstruktur kann viele Gründe haben, der wichtigste liegt in der rechtlichen Trennung von Geschäftseinheiten, was wiederum einige wirtschaftliche Effekte hat. Erstens sind die neuen Entitäten eigenständige Haftungseinheiten, was beim erfolgsverwöhnten Google nicht gleich naheliegt – wenn man aber bedenkt, dass Google historisch mit der Suchmaschine eher ein One-Trick-Pony ist, dessen Vermarktungsengine dazugekauft bzw. „abgeguckt“ wurde, ist diese Haftungsentkoppelung sinnvoll. Neue Aktivitäten wie Driverless Cars, Life Sciences, Calico haben noch nicht die Reife wie Google erreicht und bergen daher höhere Risiken.
Zweitens ermöglicht die Holdingstruktur zukünftige Unternehmenstransaktionen: Unternehmensumwandlungen, Käufe und Verkäufe, Joint Ventures und dergleichen mehr. Ein späteres „Carving Out“ ist aufwendig und dauert länger (siehe Infineon). Um die Lage besser einschätzen zu können, müsste ich mich in den Nicht-Google-Bereichen besser auskennen, es ist aber doch anzunehmen, dass ABC in manchen Geschäftsbereichen eine Option auf feste Partner oder Kapitalgeber braucht – allein schon zur Risikostreuung.
Risikostreuung ist überhaupt ein wichtiges Stichwort: Was entstanden ist, ist ein Mischkonzern.
Als Mischkonzern, auch Multikonzern oder Konglomerat genannt, wird ein stark diversifiziertes Unternehmen mit Tochtergesellschaften bezeichnet, die unterschiedliche Wertschöpfungsketten aufweisen und nicht miteinander im Wettbewerb stehen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Mischkonzern
Mischkonzerne machen sich zunutze, dass Krisen in einem Tochterunternehmen nicht auf andere Tochterunternehmen übergreifen, weil die Unternehmen in verschiedenen Märkten operieren. Umgekehrt sind Mischkonzerne schwer zu steuern, das Management der Holding muss entweder sehr gut nach Zahlen (KPIs) steuern und/oder braucht mehr Kenntnis über die betroffenen Märkte. GE, Siemens, Tata Group sind Mischkonzerne. Sie sind wohl deswegen erfolgreich, weil sie wie Investmentfonds operieren.
(Übrigens stammt auch das berühmte Portfolio-Tool aus dem GE-Umfeld, um Geschäftseinheiten zu bewerten und Investitions- bzw Desinvestitionsentscheidungen zu treffen: http://faculty.msb.edu/homak/homahelpsite/webhelp/Content/Portfolio_GE_Matrix.htm)
Ein dritter Aspekt ist in divers(ifziert)er Unternehmenskultur zu suchen, vielleicht an verschiedenen Standorten, auf jeden Fall aber durch Top-Führungs-Ebenen, die mehr Handlungsfreiheit geniessen. In Deutschland ist eine AG schon rechtlich eine Konstruktion, welche dem Vorstand über das AktG einen eigenen Handlungsspielraum zuweist, anders als bei der GmbH oder gar einer blossen Organisationseinheit.
Schließlich könnte man darüber spekulieren, ob es nicht Unternehmensgrößen gibt, die trotz vergleichsweise flacher Hierarchie zu viel interne Reibungen und Transaktionskosten erzeugen: jeder Konflikt wird ja intern ausgetragen, muss befriedet und geregelt werden. Manchmal ist es leichter, einen solchen Moloch aufzuteilen, so dass er effizienter wird, weil die Reibungen nach außen in die Unternehmensumwelt verlagert werden (systemtheoretisch gedacht: internalisieren vs. externalisieren).
Aus meiner Sicht ist die Zukunft von Google nicht ganz so rosig, wie die Börse gerade mit +5% reagiert hat – es besteht auch eine gewisse Chance, sich in ein paar Jahren sehr zu verheben und massive Fehlentscheidungen zu treffen. Ich bin aber auch der Meinung, dass die unternehmensinternen Akteure um Faktor hundert besser informiert sind als die Medienöffentlichkeit, daher sollte man mit eigenem Urteil sehr vorsichtig sein. Das gilt auch für Begeisterung, etwa wenn Jeff Jarvis gleich von „brilliant“ spricht – das ist es nicht, denn diesen Schritt vollziehen auch viele Mittelständler, wenn sie „zweite Standbeine“ entwickeln und stärken wollen. Eigentlich ein Lehrbuch-Fall.
Letztlich wird damit aber ein Schlaglicht auf die Frage geworfen, was dieses Konglomerat zusammenhält. Ist es „Digitale Disruption“, also die Aufnahme von Chancen in vielen Wirtschaftszweigen, in denen sich durch Digitalisierung neue Geschäftsmodelle auftun? Wenn ja, welches Maß an „Digitalisierung“ ist nötig, um den inneren synergetischen Konzernkleber darzustellen? Es ist ja ein Unterschied, ob ich als Mischkonzern reine Softwareplattformen entwickele und betreibe und/oder ob ich in Hybridgeschäften mit Hardware (Auto, Roboter, Drohnen etc.) aktiv bin und/oder ob ich Big Data nutze oder nur in Wirtschaftszweigen engagiert bin, die sich technologisch entlang der Digitalisierungs-Demarkationslinie bewegen. (Viele Branchen-Innovationen sind meines Erachtens auf Computer zurückzuführen, etwa geht die neuere Globalisierungsphase auf sinkende Frachtkosten durch größere Containerschiffe zurück, die wiederum mit IT geplant und mit computergestützter Schiffs- und Hafen-Intralogistik be- und entladen werden.)
Ein zweiter Aspekt weist auf die Kultur: Was genau ist der Kern der Google-Kultur? Vielleicht ist es die Konzentration auf das Produkt (mehr als auf Marketing), das ständige Probieren direkt am Kunden, die Offenheit für Neues? Oder ist es die Personalauswahl, nur „Die Besten der Besten“, wie ich immer wieder aus der Branche höre? Was macht die modernste Ingenieursbude der Welt aus, dass man sie erfolgreich über ganz verschiedene Geschäftsfelder „ausrollen“ kann?
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“Geworfen 5: Ein paar Gedanken zu Googles „Alphabet“”