(Geworfenes: Die Wiederbelebung des hiesigen Blog-Gedankens, dass die kleine Form, das Unfertige, besserer Treibstoff für Gespräche ist als die ausgebaute Publikation. Nach vier Jahren wird es Zeit, es zu versuchen. Limit 1.000 Zeichen.)
Diese Woche besuchte ich einen Redakteur an seinem schiffsähnlichen hamburger Arbeitsplatz und er drückte mir zur Begrüßung das neue Heft einer Wochenzeitschrift mit den Worten „Hier, das neue Heft“ in die Hand, nicht ahnend, dass ich seit Jahren Wochenzeitschriften nur unfallhaft lese. Da ich es aber nun mal in den Händen hielt, begann ich nach unserem netten Termin das Heft zu lesen, stellte dann allerdings fest, dass es mir eigenartig fremd vorkam. Zwar ging mir das Blättern leicht von der Hand, eine tief im Gehirn verankerte Bewegung wie eine Schwimmbewegung oder das Balancieren beim Fahrradfahren. Aber auf allen Seiten war ich für Sekundenbruchteile verloren, wußte nicht wohin mit dem Blick. Mal war ein Kasten links wichtig, mal eine Headline im unteren Drittel oder auch etwas oben rechts. Ich kann es kaum in Worte fassen, aber die Kombination aus Bildanzahl und frei layouteten Textmengen macht mir zu schaffen, strengt mich an, machte mich irgendwie ungehalten. Und wenn ich ein beeindruckendes Bild sehen wollte, war ein verzerrender Knick in der Mitte.
Obwohl ich seit Jahren der Meinung bin, dass Lesen im Web von der Medienindustrie (un)dank Werbefinanzierung systematisch zur Zumutung entwickelt wird, kam mir das Lesen professioneller Webangebote vergleichsweise angenehm vor. Ich kann die Webangebote von oben nach unten lesen und muss nicht entscheiden, an welchem Kasten ich einen Anleseversuch unternehme. Alle Headlines sind online links bündig, ich kann mir neue erscrollen, ohne die Augenposition zu verändern – im gedruckten Magazin führt hingegen die striktere räumliche Trennung von Index und Inhaltsseiten dazu, dass ich im Lesefluss nicht mehr über den Index geführt werde, sobald ich zu lesen begonnen habe (Vielleicht hätte ich mir angewöhnen sollen, einen Finger immer vorn zwischen den Seiten des Inhaltsverzeichnis als Pointer einzusetzen?). Und die Marginalspalte ist online als das zu erkennen, was ihr Name sagt: sie ist marginal, ein Angebot am Wegesrand. Werbung, die mir online störend vorkommt, irritiert mich weniger als von Art Directoren handverlesene stylische Kästen. Sogar an dysfunktionale lexikalische Wortunterstreichungen habe ich mich gewöhnt, obwohl ich mir immer wieder gedanklich an den Kopf fasse (SichgedanklichandenKopffassen: Wort aufheben, escherhaftes Bild).
Ich habe also verlernt, Magazine zu lesen. Und noch mehr: das Teilen (sharen) ist mir eine so selbstverständliche Handlung geworden, dass ich gar nicht weiß, warum ich Print lesen soll, kann ich doch diese wichtige Funktion damit gar nicht vornehmen. Warum soll ich lesen, was ich nicht teilen kann? Warum soll ich lesen, was ich nicht kopieren kann, was ich nicht kommentieren kann, was ich nicht als pdf auf meinem Server ablegen kann und so weiter? Wie mache ich es im Print, mir schnell eine Artikelauswahl wie per Browser-Tab zurechtzulegen, um sie später zu lesen oder auch zu entscheiden, dass ich sie doch nicht lesen möchte – diesen Filter- und Wiedervorlageprozess hat das gedruckte Produkt nicht. Mein gesamter Prozess der Informationsverarbeitung erlaubt mir online so viel mehr als das lineare Printprodukt. Entscheidend ist eben nicht einfach die „Digitalisierung“ von analog zu digital, sondern die Änderung der Informationsorganisation, des Zugriffes auf sie und ein leistungsfähigerer Prozess.
Und da wurde mir schlagartig etwas klar: Die Erfahrung aus vielen Digitalprojekten, dass eine Migration eines Lesers von Online zu Print selten möglich ist, hat sich nun auch bei mir verwirklicht. Bücher lese ich besonders gern, weil sie (gedruckt wie digital) so klar strukturiert und linear sind, und typische Online-Publikationen nutze ich wegen der Vieldimensionalität und Vielfalt der Zugriffsmöglichkeiten. Aber für Print-Magazine bin ich wahrscheinlich verloren.
(3.887 Zeichen, das muss kürzer werden.)
(Der Text schildert übrigens eine tatsächliche subjektive Erfahrung, die mich selbst eher verstört, er ist nicht als verallgemeinerbares Print-Bashing gemeint.)
(tl;dr gibt´s nicht. Das ist der letzte Absatz.)
Jo. Und diese Selbstverständlichkeit des Sharings lässt mich auch vor Paywalls mit einem lapidaren „Dann eben nicht“ zurück.
Das Teilen beim Magazin findet auf einer anderen Ebene und mit mehr Gelassenheit statt. Du gibst das Heft weiter, nachdem Du es „ausgelesen“ hast – an Freunde, Nachbarn oder Verwandte. So erlebte ich es in Kindertagen bei meiner Oma, die mit ihren Freundinnen die Zeitschriften tauschte. Funktioniert, man muss nur geduldig sein. – Gratulation zu dem wirklich kurzen Text! 🙂
Ja, es gab auch einen zweiten Hinweis auf Twitter, das Teilen fände mit der Schere statt.
Aber das kommt ja dem digitalen Teilen nicht gleich, da ich dort ein identisches Exemplar im Zugriff behalte, nachdem ich eines für andere kopiert habe. Das ist also wie bei Jesus, der die Fische teilte. Hätten alle den einen Fisch weitergegeben, wären sie verhungert.
Wie mir von einem Freund, der noch „Hefte“ liest, berichtet wurde, ist es auch nicht mehr üblich, das Inhaltsverzeichnis vorne zu drucken.
Ein PRINT-SPIEGEL beginnt mit zunächst zwei Doppelseiten-Anzeigen von Mercedes und dann BMW (was ganz sicher dazu führt, dass deren Produkte belobigt und niemals heftig kritisiert werden). Inhalt gibts dann auf Seite 5 – wenn man Glück hat!
Ich erinnere mich, dass das bei Frauenzeitschriften der Oberklasse noch schlimmer ist. Da sind vorn sehr viele Anzeigen. Hier hat man also den Index versteckt. Das Pendant wäre online, wenn man die Navigation verstecken würde.
Kann ich vollständig nachvollziehen. Online + Instapaper schlägt Papier (und übrigens auch Zeitungs/Magazin-Apps) UM LÄNGEN.
Ich frage mich allerdings, ob das auch fürs Sharing gilt. Denn diese Marotte, längere Texte als Twitter-Bild zu sharen, lässt sich ja auch ziemlich unproblematisch mit Print umsetzen. Und das machen erschreckend viele.
Warum ist das eine „Marotte“ und „erschreckend“? Ist das digitale Weltanschauung? Ich mache das selbst und finde es hilfreich und bei einigen Zitaten sogar ganz ansprechend.
Für mich zeigt sich da Leben, wie bei Gras und Kraut, das sich den Weg durch Betonplatten bahnt. Diese Dynamik beeindruckt mich.
Ist die Frage jetzt ernstgemeint?
„Text als Bild“ ruiniert einen guten Teil der oben vermissten Möglichkeiten: Ausschnitte markieren, kopieren, teilen, sonstwas.
Außerdem kann man „Pixeltext“ nicht mehr sinnvoll ohne Qualitätsverlust zoomen, oder die Schriftart ändern, den Kontrast verbessern – und Screenreader können auch nichts damit anfangen.
Kurz: Ist kacke.
https://media3.giphy.com/media/DidllBwMzzzoc/200_s.gif
Ob das Verlernen, Magazine zu lesen, ein individueller Befund ist oder etwas Generelles anzeigt? Ich weiß es nicht. Bevor man die technischen Funktionen „sharen“ oder „copy & paste“ vermisst, muss man die ja erst einmal dauernd nutzen – was nicht alle unbedingt 50 mal am Tag tun.
Bleibt der Unterschied im Layout. Wenn ich Papier-Zeitung lese, was ich noch ab und zu gerne tue, wenn ich die Zeit dafür überhaupt habe und nicht ohne Umweg direkt von der Kaffeemaschine an den Schreibtisch gehe, dann bin ich durch das Zeitungs-Layout eher wie “ erlöst“, weil die Orientierung in der Zeitung mir leichter fällt und schneller geht. Die Doppelseite TZ lässt sich wunderbar schnell screenen, man kann ganz schnell hier einsteigen, da anlesen – also das Lesen hat mehr Überblick, mehr Orientierung.
Magazine sind allerdings etwas anders, das stimmt auch. Die Artikel gehen oft über mehrere Seiten, so dass Magazine weniger gut für die schnelle Orientierung sind als TZ-Formate. Wenn man sich auf Magazine kaum noch einlassen mag (kenne ich auch von mir), dann liegt das aber vielleicht auch an der Content-Überfütterung und der wachsenden Ungeduldigkeit gegenüber allem, was nicht sofort ist.
Wenn man – reden wir mal von uns Paper-Natives – Zeit seines Lebens mehr oder weniger süchtig nach Content war (Zeitungen, Bücher etc.), dann kam mit dem Netz natürlich der Suchtstoff schlechthin in unser Leben. Für einen Zeitungsjunkie ist das Netz das Paradies. Wir klassischen News-Junkies werden im Netz dermaßen mit Content von allen journalistischen Marken beworfen – und dann kommt jemand, und möchte, dass man sich mal eine Stunde an eine Marke bindet und so ein ganz Heft durchwandert? Das klappt paradoxerweise vielleicht eher mit Nicht-Süchtigen oder Wenig-Lesern. Ich würde dagegen sagen: „Ich habe keine Zeit, das Magazin zu lesen, weil ich so viel lesen muss.“
Den Unwillen, sich auf ein gebündeltes Markenangebot zu restringieren, gibt es übrigens auch im Netz. Die Zeitungs-Apps werden ja auch nicht gerne genutzt. Neulich kam daher ja auch schon die Frage auf, ob Zeitungen noch Websites und Apps brauchen, oder ob es nicht Zeit wäre, sich völlig von dem Gedanken zu verabschieden, irgend jemand hätte noch den *Wunsch* nach einer festen Konsumentenbeziehung zu 1 Redaktion.
Die Interessen der Leser sind hoch individuell. Deshalb sieht es vermutlich nicht so heiter fpür Redaktionen aus, die General Interest bieten. Und so gesehen war es vielleicht ein Fehler deines Gesprächspartners, zu sagen: „Schau dir mal das Heft an.“ Er hätte dich kennen und sagen müssen: „Moment, Christoph, hier guck dir mal diesen Artikel an …“ Und wenn das nun z.B. ein Artikel über Deformationen des geduldigen Lesens wegen der Überhäufung mit zu viel Lektüreangeboten gewesen wäre, vielleicht hättest du den dann doch gerne gelesen, samt der kleinen Boxen, und du hättest gesagt: Sieh mal, gute Zeitschrift, muss doch mal wieder mehr Print wahrnehmen. Dann Foto machen, oder gleich mit dem Smartphone ganzen Artikel digitalisieren, sharen … 😉
Auch mir geht es so, dass ich keine Bündelungen mehr akzeptiere. Ich glaube aber, dass diese Feststellung den Blick eher verstellt. Tatsächlich heisst es nämlich nur, dass ich bessere Zugriffsmöglichkeiten mit Suche, Lexika, Streams, Social Graph, Links, Bookmarks etc habe.
Und dass nur Menschen betroffen sind, die 50 digitale Operationen (sharen) machen, ist nicht mein Eindruck. Es reicht, dass ich das ein Mal täglich machen möchte. Ein Werkzeug, das das nicht erlaubt, scheidet dann als Werkzeug aus. Dasn ist, um ein besonders blödes Beispiel zu nehmen, wie ein Rasierer ohne Langhaarschneider. Letztere Funktion brauche ich selten, aber ich würde einen Rasierer ohne nicht kaufen.
Ja, auch für mich ist das Netz das Paradies. Allerdings schaffen Magazine und Wochenzeitungen etwas, das dem Netz bzw. meiner Blase im Netz nicht gelingt, gerade weil es soviel Zeug gibt, das ich sowieso interessant finde: Begegnungen mit Themen auf den 2. oder 3. Blick. Dadurch dass die Hefte eine Zeitlang liegen bleiben, lese ich nach und nach auch Artikel zu Themen, die neu für mich sind: Horizonterweiterung. Das fällt mir im Netz viel schwerer: zu viel Zeug, das mich interessiert, da komme zu nichts anderem mehr.
Übrigens schön zu sehen, dass bei einigermaßem kurzen Text und leichtverständlicherer Schreibweise die Kommentare deutlich zunehmen.
Ich teile/share nie, weil ich der Ansicht bin, dass es eine Zumutung fuer meine Bekannten darstellt, wenn ich sie
permanent mit meinen Vorlieben oder Abneigungen konfrontiere. Warum sollte ich andere „zwingen“, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das sie womoeglich ueberhaupt nicht interessiert? Lege selbst auch keinen Wert darauf, ständig etwas auf’s Auge gedrueckt zu bekommen, was mir total gleichgueltig ist.
Liebe Karo-Merkel,
ich verstehe Ihren Einwand leider überhaupt nicht. Mit einer Äußerung – egal welchen Inhaltes – „zwingen“ Sie doch niemanden zu irgendwas, im Gegenteil: das ist das Wesen einer erfolgreichen Kommunikation, dass Sie sich am Anfang artikulieren. Und so tun es auch hier: Sie kommentieren. Wenn Sie aber kommentieren, warum sollte dann ein Weniger, nämlich das Weiterleiten fremden Inhaltes, von Ihnen abgelehnt werden? Ihr eigenes Verhalten widerspricht dem Inhalt Ihres Kommentares. (Und wer ist das http://www.spiegel.de/forum/member-377658.html ?)
Vielleicht ist Kommunikation der Punkt der verloren gegangen ist.
Menschen die Reden müssen nicht Artikel online teilen, sondern können sich in echt darüber unterhalten
okay. rufen Sie mich an?
Mensch, das ist ein Backlink für Ihr Musik-Magazin, oder? Die Links hier sind no-follow.
Hm, dann habe ich hier wohl was falsch verstanden. Unter „teilen“ stelle ich mir vor, dass ich Artikel oder Bilder oder was auch immer an andere weiterleite.
Spiegel: Leider haben meine Kommentare nie funktioniert. Wußte gar nicht, dass ich da noch gelistet bin.
Für die Artikelauswahl gibt es für die Printversion eine sehr innovative Idee: Nennt sich Post its. Ich nutze grün für „unbedingt“ und orange für „könntemanmal“. Also bei Kochbüchern, die ich dann auch so share. Kommentare in kurz kommen auf die Post its. Von mir und von anderen. Auch andere dürfen Post its kleben, die gibt es beim Ausleihen gratis dazu. Funktioniert seit Jahren ganz wunderbar. 🙂
Ich werde das zeitnah mit der Printversion des Spiegel probieren. Wird sicher bunt.
Bei Kochbüchern benutze ich auch Post-Its. Allerdings habe ich mir seit 4 Jahren ein eigenes Rezepteschema entwickelt, mit dem ich Rezepte und Verbesserungsmöglichkeiten und Varianten und Quellen verwalte. Die Kochbücher werden also zunehmend zur Quelle, während mein eigenes Kochbuch auf dem PC liegt. Freunde fragen gern nach diesen Rezepten, die ich ihnen dann maile oder sie ausdrucke. Es gibt sogar eine kleine Facebook-Gruppe für meine Rezepte.
Ob das mit Post-Its am SPIEGEL klappt? Bei mir nicht, aber lassen Sie es uns hier wissen. Ich weiss gar nicht, ob meine Freunde Print-SPIEGEL lesen, wir haben darüber nie gesprochen, Kenntnisreichtum wird offline putzigerweise bei uns vorausgesetzt, Empfehlungen gibt es nicht.
Ist ja eigentlich egal, wieso und wodurch genau einem Netzleser die Darbietungsform des redaktionellen Groß-Bündels allmählich fremd wird. Irgendetwas passiert da wohl. Es gab vor einigen Monaten mal irgendwo einen jungen Mann, der darüber schrieb, wie er gezwungenermaßen und experimentell ein Heft „Geo Geschichte“ (oder so etwas) durchlas im Zug – das muss für Magazinmacher ein Schock sein, solche Erfahrungen zu lesen.
Nebengleis „sharen“: Als sozialer Akt hat das eine verwckelte Psychologie. Es gibt das dedizierte sharen (@X, per E-Mail etc.) und das sharen an alle. @X ist stark reflexiv, man denkt an den Nutzen, den ein anderer hoffentlich davon hat. @all kann viele Gründe haben. In beiden Fällen weiß man als halbverständiger Mensch heute, dass jedes Sharen auch eine kleine Zumutung enthält und eine große Zumutung ist, wenn jemand dauernd alles Mögliche einem unter die Augen setzt, weil jeder etwas shared, nur einer von HUnderten ist, die das auch tun. Das Weiterleiten braucht sozusagen schon ein gewisses Taktgefühl (wie ein normales Gespräch auch). Witzig ist, dass die „Responsequote“ immer unter der Wichtigkeit liegt, die man selbst seinem Akt des Sharens innerlich zumisst. Das heißt: Ich denke, das ist wichtig, und von 400 Personen, die das sowieso nur sehen, denken am Ende höchstens 10 (das ist schon viel Response), dass die Sache einen Blick wert war. Deshalb rotieren im gnadenlosen Facebook-Umfeld auch nur die Zuckerstoffe „Humor“, „Wahnsinn“, „Aufregung“ etc. Was es da täglich an Links regnet … fällt zu Boden, bildet kurz eine kleine Pfütze, versickert. Trotzdem ist es irgendwie „verbreitungswirksam“ … funny new world.
Ich überlege, ob ich spitze Bemerkungen darüber mache, wie sehr, wie grundliegend, und vor allem auch wie oft sich das Design von Websiten allein in den letzten 10 Jahren geändert hat, und dass ich schwarz für Sie sehe in den nächsten 10 Jahren, wenn Sie das schon so sehr aus der Bahn wirft. Oder ob ich nicht doch eher mein tiefgreifendes Unwohlsein zum Ausdruck bringe über einen Zustand, in dem ich den Wert von Informationsaufnahme nicht mehr darin sehe, selber klüger zu werden, sondern ausschließlich darin, mich im sozialen Netzwerk damit zu produzieren. Und, da ist es dann mit eleganten spitzen Bemerkungen endgültig vorbei, mehr scheint mir das hier auch nicht zu sein.
Wo steht denn, aus welchen Gründen ich lese?
Wenn Sie wüssten, was ich alles warum lese, würden Sie sich sehr schämen für diesen Kommentar.
Ich halte dieses ewige Sharen auch eher für wenig erfreulich. Selten ist etwas wirklich für mich nützliches dabei, stattdessen habe ich öfter den Eindruck, derjenige, der mir den Link jetzt zukommen ließ, will mich mit erhobenem Zeigefinger zu etwas ermahnen, mich quasi auf etwas stoßen, wo er glaubt, bei mir eine Schwachstelle zu kennen, die ich durch Lesen des Artikels jetzt verbessern soll. Kurzum, es ist schon oft einiges an Bevormundung dabei.
Hinzu kommt, daß man ja kaum Zeit hat, das alles zu lesen, was andere Leute wollen das man liest.
Ich weiss natürlich nicht, ob Ihre Kontakte sie bevormunden wollen und ggf womit, daher will ich das nicht ausschliessen. Vielleicht haben Sie ja wirklich das, was Sie „Schwachstellen“ nennen, haben Sie das schon mal in Erwägung gezogen? Vielleicht spricht ja die empirische Beobachtung dafür – oder dafür, dass Sie Bevormundung dort sehen, wo nur Empfehlungen sind.
Auch bei mir sind selten „nützliche“ Inhalte dabei, aber es hängt ja ausschliesslich von meiner Auswahl ab, wessen Inhalte ich lese. Sie müssen online aktiv ihre Informationsprozesse gestalten, es ist nicht wie ein Spaziergang durch die Stadt. Wenn sie ganz gezielt auf Ihre Informationsbedürfnisse hin strukturieren, kommen Sie auch an Inhalte, die Ihnen gefallen.
Ich kriege das schon hin, bin ja durchaus netzaffin. Das Problem ist in dem Fall auch eher das RL, denn die dortigen Bekannten (Freunde sind das eher nicht) leiten mir des öfteren Inhalte weiter, die mir allerdings meist egal sind.
Ich bin durchaus in der Lage, meine Defizite selber zu bearbeiten oder mit ihnen glücklich zu leben (man muß und will ja nicht alles kennen, können oder kommentieren)
Ich halte es gesellschaftlich für eine Fehlentwicklung, daß jeder meint, andere irgendwie coachen, beeinflussen oder sonstwie verbessern zu müssen. Da frage ich mich, was geht die Leute das an, was bei jemand anders angeblich nicht stimmt? Sind wir ein Volk von Managern, die sich ständig gegenseitig coachen müssen?
Ich tue das umgekehrt jedenfalls nicht.
Und ich möchte auch nicht, daß jemand, der von meiner Krankheit, die ich habe, weiß, mir ständig ungefragt Artikel darüber weiterleitet, die ich eh schon kenne, weil ich mich ja selber aktiv informiere. Allein, daß diejenigen wissen, daß ich diese Krankheit habe, war schon gar nicht beabsichtigt und nur durch Indiskretion Dritter entstanden, und jetzt reiben sie es einem auch noch ständig unter die Nase und meinen es angeblich alle ja so gut (und wollen sich doch nur wichtigtun und Beachtung haben)
Bei geteilten Inhalten, wo es nicht um sowas geht, sondern einfach nur um Beachtung, habe ich festgestellt, daß die Leute durchaus erwarten, daß man dann auch kommentiert bzw. ihnen ein Feedback schickt. Ansonsten wird schonmal nachgehakt – na, nicht gelesen, nicht gefallen oder was?
Zum eigentlichen Thema: Obwohl oder vielleicht gerade weil ich jeden Tag etliche Stunden am PC arbeite, lese ich längere Texte doch nach wie vor gerne auf Papier, sofern vorhanden.
Ich fürchte, nachdem ich ein paar Minuten nachgedacht habe, wir haben sehr unterschiedliche Auffassungen:
1. „einfach nur um Beachtung“: warum ist das so negativ? Wenn Sie das im Wortsinne meinen: be-achtet zu werden, also von anderen Aufmerksamkeit zu erfahren, ist doch kein schlechter Zug, solange das nicht ständig erfolgt, frei von Inhalt ist, narzisstische Züge hat. Ich denke, der Wunsch nach Aufmerksamkeit ist der Wunsch nach einer Bedingung von Kommunikation, die der homo sapiens braucht, weil er ein homo sapiens ist.
2. Bevor Sie „Defizite bearbeiten“, müssen Sie sie erkennen. Das ist aufgrund der menschlichen Psyche und ihrer Strategien ohne Feedback anderer nicht möglich, blinder Fleck. Jedes psychische System braucht Feedback von seiner Umwelt, um ein brauchbares Konzept von sich selbst Innen aufzubauen. Ausserdem handelt es sich um ein Aushandeln auf individueller Ebene, was zunehmend erforderlich wird, weil Institutionen uns heute keine Entscheidungen mehr abnehmen.
3. Links Dritter sind selten hilfreich, wenn es nur Freunde sind. Freundschaft ist ungleich Interessensgleichheit. Haben auch Leute drüber geschrieben, ausser mir z.B. auch Kathrin Passig.
Also mit den Defiziten meinte ich jetzt nicht unbedingt etwas, was man mal so eben bearbeiten kann. Ich habe zB eine körperliche Erkrankung, zu der mir fast jeder, der davon weiß, ungefragt irgendwelche Ratschläge gibt, fast wie früher bei meiner Oma die alten Damen beim Kaffeekränzchen über Krankheiten geredet haben.
Und das kommt von Leuten, die, wenn es nach mir gegangen wäre, gar nichts davon gewußt haben sollten.
Es ist doch wohl legitim, daß ich mir das verbitte.
Gut gemeint ist da keinesfalls gleich wirklich gut.
Zudem sind einige der beschriebenen Therapien dann auch zB noch esoterischer Humbug, der längst empirisch widerlegt ist. Was soll das, meine Zeit mit sowas zu verschwenden und dann auch noch ein Danke schön oder sonstiges Feedback von mir zu erwarten?
Mit den anderen „Defiziten“ meinte ich jetzt auch keine psychischen Krankheiten, sondern zB „Soft Skills“ von denen die Leute meinen, ich hätte sie nicht.
Dabei sind mir diese auch gar nicht wichtig, da ich sie in meinem momentanen Job nicht brauche und weder Zeit noch Lust habe, sie mir anzueignen, oder sie für überbewertet oder gar kontraproduktiv halte.
Man muß ja nicht jeden Mist mitmachen, nur weil er in einem gehypten Managementbuch als das große Ding gehandelt wird. Man hat ja als kritischer Mensch auch noch seine eigene Meinung. Und wenn ich dazu stehe, daß ich so bin wie ich bin, müssen nicht andere meinen, mich belehren und missionieren zu müssen.
Und das ist eben erst der Fall, seitdem jeder jeden auf irgendwas hinweisen kann und muß, was er gerade irgendwo im Netz entdeckt hat.
Von daher hat die Netzkultur IMHO das menschliche Miteinander nicht nur zum positiven verändert.
Nach dem Lesen Ihrer Kommentare entsteht bei mir ein Bild eines Menschen. Ich nehme mal Ihren Text, alle folgenden Phrasen sind Ihr eigener Text:
Kommt das so hin?
Das kommt teilweise hin. Aber möchten Sie Ratschläge bekommen zu etwas, das die Leute eigentlich gar nicht von Ihnen wissen sollen? Oder machen Sie alles gleich öffentlich, wenn Sie etwas haben? Schreiben Sie in Ihr Blog, wenn Sie zB ein Furunkel am Allerwertesten haben, damit Sie möglichst viele Hinweise zu dessen Behandlung bekommen und möglichst alle Welt Bescheid weiß?
Anscheinend verstehen Sie nicht, daß es noch so etwas wie Privatsphäre und ein Recht auf eine eigene Meinung und sowas wie Diskretion gibt. Daß es einfach Dinge gibt, die andere nichts angehen sollten.
Offensichtlich sind Sie durch’s www schon völlig durchtransparentet oder wie man das nennen soll.
Meine Wertevorstellungen orientieren sich allerdings an der Zeit davor. Ja, ist vielleicht nicht zeitgemäß. Na und…
Und nur, wei man nicht alle Soft Skills hat, die im mittleren Management erwartet werden, heißt das noch nicht, daß mit einem etwas nicht stimmt. Bitte echt mal die Kirche im Dorf lassen.
Sind Sie am Ende so ein Selbstoptimierer, der mit so einem Gesundheitsmeßarmband rumläuft und auch sonst alles unternimmt, um sich den Anforderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft so untertänig wie möglich zu machen?
Wenn ich morgens nicht zur Uni muss, lese ich die (echt grottige) Tageszeitung.
Und das endet dann immer damit, dass drei Freunde über Instant Messenger mit Photos von Hacker-Symbolbindern (die ihren Laptop in der Hand halten und sicherheitshalber eine Sturmmaske tragen) und anderem Blödsinn bekommen.
Ich weiß gar nicht wie die das finden, beschwert hat sich zumindest noch niemand.
Um Himmels willen, lesen Sie keine grottigen Tageszeitungen! Thomas Bernhard ist davon impotent geworden, sagt man! (M.R.R.)
Interessanter Artikel, per Zufall drauf gestossen und gerne gelesen, würde mich freuen, wenn derlei in Zukunft hier noch mehr davon erscheinen würde (auch gerne in dieser Länge, eine künstliche Begrenzung auf 1000 Zeichen muss meinetwegen aber nicht unbedingt sein – warum eigentlich?).
Zum Magazinlesen, nun das kommt wahrscheinlich ganz darauf an, welches Magazin man liest, ich lese aus dem deutschen Sprachraum auch recht wenig davon, zum letzten Mal habe ich es mit der Erstausgabe der deutschen Wired versucht, aber die habe ich nach 5 Minuten wieder weggelegt, das entsprach nämlich ganz Ihrer Erfahrung, die Sie hier wiedergeben, praktisch eine Hipster-Website in Magazinform, schrecklich. Allerdings habe ich mir vor kurzem den New Yorker als gedrucktes Magazin abonniert, dort finden die Artikel seitenlang ohne nennenswerte Werbeunterbrechung – wenn überhaupt – statt. Ich habe wirklich gestaunt, wie wenig Werbung dieses Magazin beinhaltet. Ich habe mal gezählt und bin auf 7 Seiten (davon auch nur 3 oder 4 Vollseiten) Werbung von 78 Magazinseiten gekommen.
Ihnen sei verraten: Mir ist diese Irritation zwar genau so passiert, der Text praphrasiert aber eine Haltung. Ich schreibe das mit der Absicht, Print-Leuten, die in schiffsähnlichen Bauten arbeiten, mentales Futter für das Überdenken ihrer Produktwelten zu geben, sonst sind sie nämlich bald in weniger schönen Gebäuden. Eine von vielen Lösungen besteht darin, auch Print-Produkte hochergonomisch zu gestalten. Das tut offenbar Ihr „New Yorker“.
Ständig dieses nervige Geshare! Jeder der denkt etwas Interessantes/Wichtiges/Lustiges im Netz gefunden zu haben meint dieses Unbedingt seiner Umwelt mitteilen zu müssen. Und ich werde geflutet von irgendwelchen interessanten/wichtigen/lustigen Empfehlungen. Und leider ist nur selten etwas dabei, was mich wirklich interessiert.
Ja, in der heutigen Zeit ist es wirklich wichtig nur kurze prägnante Artikel im Netz zu konsumieren. Deshalb hat SPON ja auch das „Zusammengefasst“ unter seine Artikel gesetzt, damit man noch viel schneller Informationen saugen kann. Bloß keine Belastung durch Hintergründe.
Ich lese auch gerne die gedruckten Ausgaben vom SPIEGEL oder der ZEIT. Dort erfährt man viel mehr als nur die kleinen Häppchen aus dem Internet. Und wenn man mit Mitmenschen ein Thema diskutiert merkt man schnell, wer sich geistig nur von Schlagworten ernährt und wer sich auch mal tiefergründig informiert.
Ihr Kommentar ist in der ersten Hälfte auch nur ein Auswurf Ihrer Meinung – genauso machen es andere auch, nur nennen Sie es dann „nerviges Geshare“.
Und dann führen Sie die Trennung ein: kurze Texte = Internet, hintergründige Texte = Print.
Das halte ich für falsch. Sie finden Hintergründiges kaum noch in Massenmedien, egal ob online oder offline. Richten Sie Ihre Suche auf anderes: Bücher, egsl ob print oder digital. Und suchen Sie im Internet nach Studien, wissenschaftlichen Verlffetnlichungen von Professoren, graben Sie MOOCs und Youtube ab. Es gibt in Geisteswissenschaften erstklassige Literatur im Internet. Sie sind zu faul zum Suchen und Ihre Gewohnheiten zu verändern.
Nö, ich bin nicht zu faul zum Suchen und lese deshalb Gedrucktes, wie Sie mir freundlicherweise unterstellen.
Lese ich SPIEGEL oder ZEIT, erhalte ich ein breitgefächerteres Informationsangebot als die kleinen Häppchen die im Internet angeboten werden. Und ich erweitere meinen Horizont mit Informationen auf die ich vielleicht im Internet nach aufwändiger Recherche gestoßen wäre, aber im Zweifel gar nicht auf die Idee gekommen wäre, dass mir diese Informationen gefehlt hätten und sie somit auch nicht gesucht hätte.
Ebenso lese ich in guten Magazinen und Zeitungen Meinungen, die mich zum Überdenken meiner eigenen Meinung anregen.
Ein oft gemachter Fehler der Nutzer des Internets und derer, die ihr Wissen und damit auch ihre Meinung darüber beziehen ist die Einseitigkeit. So wird z.B. ein Pegida Anhänger im Internet Zahlen suchen, wie viele Zuwanderer kriminell geworden sind und sich daraus seine Meinung bilden. Würde er einen gut recherchierten Artikel lesen, würde er dort die gleiche Zahl über kriminelle Zuwanderer lesen – aber zusätzlich auch, wie viele hier arbeiten, Steuern bezahlen, Arbeitsplätze schaffen, etc.
Aber sicher gehören Sie zu der seltenen Spezies, die genau weiß, welche Informationen ihr fehlt und auf den vielen von Ihnen erwähnten Möglichkeiten diese nach kuzer Suche auch schnell findet – und natürlich auch nach Informationen sucht, die die eigene Meinung zum Wanken bringen könnte. Glückwunsch!
Nö, Sie finden nicht nur im Internet „Einseitigkeit“, sondern auch im Print. Halten Sie doch mal den Wirtschaftsteil der FAZ gegen das Ressort des Spiegels.
Und, nö, der Selektionsvorgang durch den Leser findet medienunabhängig statt. Den gibt es online wie offline. Die Idee der Filter Bubble ist ein Denkfehler.
Mehr dazu bei Kappes, C. http://christophkappes.de/wp-content/plugins/download-monitor/download.php?id=1
Lieber Herr Kappes,
hier einige Praxistipps eines der analogen Welt verbunden gebliebenen Digital Natives:
„Ich habe also verlernt, Magazine zu lesen. Und noch mehr: das Teilen (sharen) ist mir eine so selbstverständliche Handlung geworden, dass ich gar nicht weiß, warum ich Print lesen soll, kann ich doch diese wichtige Funktion damit gar nicht vornehmen. Warum soll ich lesen, was ich nicht teilen kann?“
Magazin weitergeben. Freunden davon erzählen. Auf dem WG-Küchentisch oder auf dem Klo oder in der Bahn liegen lassen. Abos verschenken.
„Warum soll ich lesen, was ich nicht kopieren kann, was ich nicht kommentieren kann, was ich nicht als pdf auf meinem Server ablegen kann und so weiter?“
Kopierer gibt es seit Dekaden. Scanner inzwischen auch. Und viele Magazine als elektronische Ausgabe. Der Server hiess früher bei mir „Regal“ oder „Dachboden“. Kommentieren kann man, indem man sich mit Menschen darüber unterhält oder Leserbriefe schreibt.
„Wie mache ich es im Print, mir schnell eine Artikelauswahl wie per Browser-Tab zurechtzulegen, um sie später zu lesen oder auch zu entscheiden, dass ich sie doch nicht lesen möchte – diesen Filter- und Wiedervorlageprozess hat das gedruckte Produkt nicht.“
Eselsohren. Lesezeichen. Post-Its.
„Mein gesamter Prozess der Informationsverarbeitung erlaubt mir online so viel mehr als das lineare Printprodukt.“
So viel ist das gar nicht. Für mich ein wichtiges Merkmal der Offline-Texte: Ich kann direkt im Text Notizen machen. Sachen unterstreichen. All das ist mit den meisten Online-Texten nicht (oder nur mit Gefrickel) möglich.
Natürlich ist offline alles etwas langsamer, sperriger, masseintensiver und man bekommt nicht die größte Aufmerksamkeit, die verlockend im Netz ruft.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe die Segnungen der Digitalisierung.
Aber derartige Netz-Abhängigkeit und fehlende Kreativität im Umgang mit vor sehr kurzer Zeit noch völlig alltäglichen, realen Dingen erschreckt mich.
Wenn ich Sie erschreckt habe, habe ich mein Ziel erreicht.
Auch ich arbeite (!) sehr intensiv mit Papier, mit Zeichnungen und Unterstreichungen in einer während des Studiums erlernten Systematik.
Nur schildere ich das oben ja in Bezug auf Wochenmagazine, nicht Bücher oder Schriften.
Sehr geehrter Herr Kappes!
Ich hatte mich bisher für einigermaßen technik- und netzaffin gehalten – als jemand, der in den 90ern schon auf LAN-Partys war und mp3 genutzt hat, der eines der ersten DSL-Modems von der Größe eines DVD-Players besessen hat, napster und icq in den Kinderschuhen gesehen hat…
Doch ich fühle mich zunehmend älter, und das erst Recht nach der Lektüre Ihres Beitrags. Twitter und co waren mir schon immer suspekt, schien (und scheint) mir einfach eine oberflächliche Empörungsmaschinerie zu sein, ein Shitstorm-Katalysator ohne vernünftigen Zweck jenseits des Boulevards. Für mich persönlich ist es tatsächlich auch eher eine „Unsitte“, alles und jedes zu liken, zu sharen, zu speichern und zu kopieren. Ich empfinde da einen ähnlichen Entwertungseffekt wie bei der Digitalfotografie: die Anzahl der Bilder hat sich verzigtausendfacht, alles wird einfach geknipst, es gibt eine gewisse Konsequenzlosigkeit bei schlechter Qualität: „Lösche ich dann später…“ Oder halt auch nicht. Ähnlich das sharing: der bloße Verdacht, etwas könnte vielleicht interessant sein, führt immer häufiger mit wenigen Klicks zum Sharing. Es entsteht ein unfassbarer Datenwust mit sinkender Durchschnittsqualität, weil die Qualitätskontrolle aufgrund des geringen Aufwands des Teilens immer weiter abnimmt.
Ich empfinde Printprodukte als unglaublich entspannend, weil sie sich dieser Problematik von vorneherein entziehen.
Macht ja nichts, wenn man sich älter fühlt. Und was Medienumgang angeht, soll gern jeder nach seiner „Fasson“ glücklich werden.
Aber stellen Sie sich doch einmal vor, Ihre Urteile wären voreilig:
– Der Shitstorm ist die Mutter der Demokratie (frei nach Sloterdijk), einfach nur die kollektive Äußerung von Moralvorstellungen. Woher sollte denn aus Ihrer Sicht Moral noch kommen, wenn nicht durch Verhandlung? Von der Kirche, dem Knigge? (Und seien wir froh, dass es nicht mehr so wie in Münster für Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling endet. http://de.wikipedia.org/wiki/St._Lamberti_%28M%C3%BCnster%29#/media/File:Muenster_Lamberti_Koerbe_6428.jpg.)
– Der zunehmenden Datenmenge begegnet man mit neuen Selektionstechniken. Anders geht es sowieso nicht, das ist eine gesellschaftliche Dynamik, die ein einzelner gar nicht stoppen kann.
– Daten verschwinden einfach aus dem Blick. So ist es bei mir: eine ausgeklügelte Prozesskette, an deren Ende nach Jahren immer steht, dass ich die Daten nicht mehr benötige.
Bei den letzten beiden Punkten stimme ich Ihnen zu! Wie schon gesagt, ich bin mir der Subjektivität meiner Position bewusst.
Im ersten Punkt muss ich allerdings doch etwas einwenden:
Ich halte Kirche und Knigge gleichermaßen verzichtbar, auch und insbesondere was Moralvolstellungen angeht. Gesellschaftliche Moral sollte immer Verhandlungssache sein, basierend auf einigen universellen Stützen (siehe Grund-/Menschenrechte). Aber das hat meiner Meinung nach wenig mit der Flüchtigkeit und Oberflächlichkeit von Twitter zu tun. Dort wird nicht „verhandelt“, zumindest nicht hauptsächlich. „Push or bash“ steht im Vordergrund. Was das in Kombination mit Medien wie der Bild-Zeitung auslösen kann (und schon ausgelöst hat), ist meiner Meinung nach beängstigend. Eine falsche Vorverurteilung in der Bild, eine Empörungswelle bei Twitter, beginnende Selbstjustiz bei vermeintlichen Tätern, die – oh, sorry – dann doch nichts mit dem Fall zu tun hatten. Das gab es schon. Genauso das Hochjubeln von falschen Helden, das Pushen von Fakes und Hoaxes, das Aufbauschen von Belanglosigkeiten…
Natürlich gab es all das schon vorher, nur potenziert sich meiner Wahrnehmung nach die Wirkung durch soziale Netzwerke und vor allem durch die „140-Zeichen-Kreisch-Maschine“.
Printprodukte haben für mich da einen ganz klaren Entschleunigungsvorteil: Man kann einfach nicht so schnell reagieren wie im Netz und erreicht allein dadurch schon einen höheren Reflexionsgrad, weil man länger und öfter über das Gelesene nachdenkt und sich die Emotionalität abbaut, bevor man mit anderen darüber kommuniziert.
Der letzte Abschnitt trifft meiner Meinung meinen Kern warum ich sehr gerne Print lese. Online wird viel, so scheint es, raus gehauen, um etwas zu publizieren.
(Aber auch das Lesen hat sich dazu mitverändert, YouTube mäßig immer den nächsten Artikel zu betrachten und sich durch ein ständig wechselndes Netz zu klicken.) Es ist als ob die Korrekturinstanz Zeit verloren gegangen sei, sich über das eigene Geschriebene nochmals Gedanken zu machen. Es ist zu einem Wettlauf geworden seine eigenen Gedanken dem Internet zur Verfügung zu stellen, und die Copy&Paste-Mentalität tut ihr übriges dazu, dass jeder von allen Seiten bombardiert wird. Nicht, dass ich es nicht schätzen würde die Möglichkeit zu haben mir schnell Informationen zu einem Thema zu besorgen und diese teilen zu können, doch wem nutzt dieses Teilen denn am Ende? Dem offenen Internetnutzer dem quasi eine Vorauswahl durch andere Nutzer geboten wird? Klar, eine tolle Sache. Doch denke ich gefällt sich der teilende Nutzer selbst dabei. Denn durch die Teilung hat er noch keinen Dialog gefördert, sondern nur seine Meinung kundgetan. Einen Artikel zu lesen und mit jemandem von Angesicht zu Angesicht oder Mail zu Mail darüber zu sprechen, mit jemandem der einen fordert auch seine eigenen Gedanken zu überdenken, jemand bei dem man evtl auch weiß dass er einem zuhört, und sich danach sachlich zu unterhalten, finde ich in Kommentarspalten schwerer bzw seltener gegeben. (Ich weiß dass ich mich genau da gerade befinde.) Denn insofern es nicht ein dedizierter Blog ist, läuft das Teilen über soziale Netzwerke und Twitter.
Ich weiß nicht was es über unsere Gesellschaft aussagt, wenn das Lesen einer Print-Ausgabe anstrengend geworden ist, aber es erinnert mich an die Leute aus Wall-E.
Grüße
Ich schreibe nicht allgemein über Print, sondern über eine Wochenzeitschrift. Vielleicht hätte ich das drucken sollen.
Läuft es nicht am Ende darauf hinaus, dass jedes Medium Vor- und Nachteile hat? Weshalb es darauf ankommt, sich dieser bewusst zu werden? (Herr Kappes, danke für den Artikel, denn genau dabei hilft er. Das merke ich an mir selbst und an den Kommentaren.) und dann eine überlegte Entscheidung zu treffen. Mir geht es ähnlich, ich habe das Lesen von Print-Magazinen nahezu vollständig abgeschafft, das anderer gedruckter Erzeugnisse wie z.B. Bücher allerdings nicht. Ich habe den vorläufigen Eindruck, dass der Magazin Gedanke – Fakten, Meinungen und Stimmungen zum Zeitgeist mitzuteilen und zu konsumieren – viel besser ins Internet passt. Denn dort ist es eben eine Zwei- bzw. Vielfach-Weg-Kommunikation und keine Einbahnstraße wie in der klassischen gedruckten Ausgabe.
@BLAVONT Es ist eine Herausforderung, sich immer mal wieder mit Dingen zu konfrontieren, von denen man bis dato gar nicht wusste, dass sie einen vielleicht interessieren. Das geht mit einer klassischen Tages- oder Wochenzeitung, weil ich dort immer auch Themen mitgeliefert bekomme, die ich alleine nicht eingekauft hätte. Für mich funktioniert das aber auch online ganz gut, wenn ich mich durch Linklisten und Empfehlungen anderer Blogs lese. natürlich könnte man das auch auf Twitter oder so tun, aber ich habe es eigentlich ganz gerne, wenn jemand noch einen oder zwei Sätze dazu schreibt, warum ich meine Zeit herschenken soll.
(Links hier sind nofollow)
Die Formulierung, dass „jedes Medium Vor- und Nachteile hat“, trifft die Sache nicht.
Es ändern sich mit dem Werkzeug kulturelle Techniken, Perspektiven, sie sind häufig gar keine Alternativen, die man vergleichen könnte, sondern ein aliud. Es sind nicht zwei Werkzeuge einer Gattung, die man nebeneinander hält, wie eine Nagelschere und eine Heckenschere. Man merkt an diesem Vergleich schon, dass in dem Werkzeug „Rosenschere“ ein ganzes Anwendungssystem mitgemeint ist. Keinesweges handelt es sich um zwei Werkzeuge mit Vor- und Nachteilen. Nur weil sie dasselbe konstruktive Prinzip haben, sind es trotzdem zwei ganz verschiedene Werkzeuge, die eigentlich sogar das Ding gewordene Substrat einer Handlung sind.