Dieser Kommentar erschien in der Printausgabe von der Freitag am 11. August 2016 in einer leicht redigierten Fassung. Für die Internet-Gemeinde vorsichtshalber der Hinweis, dass der Text für ein Print-Publikum geschrieben ist.
Im digitalen Wunderland hat der Riese Google gerade einem Schriftsteller eine herbe Mitteilung gemacht. Mit einem Schlag löschte die Google-Tochter Blogspot den literarischen Blog von Dennis Cooper. Kein Bloginhalt war mehr zugänglich, darunter auch Coopers neues Buch „Zac’s Freight Elevator“, an dem der Autor sieben Monate lang schrieb. Selbst das Mail-Konto von Cooper mit den Kontakten von zehn Jahren und Angeboten für Lesungen wurde von Google ausgeknipst. „Es tut uns leid, das Blog denniscooper-theweaklings.blogspot.com wurde entfernt“ – so die kargen Worte, mit denen Cooper der Verstoß gegen die Nutzungsbestimmungen verkündet wurde.
Coopers Literatur ist als grenzgängerisch bekannt. In seinem Buch Frisk finden Lustmorde an jungen Männern statt. Die queere Internet-Enzyklopädie GLBTQ nennt Cooper einen der kontroversesten Autoren der Gegenwart, dessen Geschichten sich um die Beziehungen von minderjährigen Jünglingen zu alten Schwulen drehten, um Leidenschaft, Brutalität und Tod. Cooper selbst hatte seinen Blog mit einem „NSFW“-Hinweis versehen, auf deutsch: Für unter 18jährige nicht geeignet.
Die minimalistische und zugleich marktwirtschaftliche Antwort auf den Fall des Dennis Cooper ist seltsam prosaisch. Lies! Deine! Allgemeinen Geschäftsbedingungen! Jeder Nutzer unterwirft sich mit Zustimmung den Regeln der AGB – auch wenn er sie nicht gelesen oder gar verstanden hat. Solange Wettbewerb besteht, hat der Blogger, Foto- und/oder Film-Hochlader immerhin die Wahl. Alternativen gibt es, vom selbst gesteuerten WordPress-Blog, das in Deutschland drei Euro im Monat kostet bis hin zum selbstgeschriebenen HTML-Blog. Viele Eingriffe der Plattformbetreiber, wie etwa das Löschen, Sperren, Aus-Der-Suchmaschine-Nehmen bei Urheberrechtsverletzungen oder bei Kinderpornografie, sind politisch gewollt und erst schlagkräftig, wenn sie mit Algorithmen erfolgen – dass Google, Facebook, Twitter, Dropbox, Microsoft und andere mehr etwa die Software PhotoDNA einsetzen, um markierte Dateien mit Kinderpornos maschinell zu erkennen, hat bisher noch niemand beklagt. Man kann auch, wie etwa die Internettheoretikerin Kathrin Passig auf Facebook, auf eine Obliegenheit zum präventiven Speichern verweisen. Woher rührte eigentlich Coopers Vertrauen, sein Werk in die Hände eines Konzerns zu legen – und dabei nicht einmal ein Backup zu machen? Was muss ein Google eigentlich noch mehr tun, als mit Google Takeout ein One-Click-Backup bereitzustellen?
Doch ist das Problem kein rein privates: Online-Kommunikation ist Teilhabe an politischer Öffentlichkeit. Der Schaden, der bei Löschungen entsteht, ist nicht nur der Verlust an Daten, sondern der Verlust an Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit zu ermöglichen, sollte eine generelle öffentliche Aufgabe werden. Jedenfalls würde es dem Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders wohl eher widersprechen, mit der Willkür etwa einer Süddeutschen Zeitung bei der Öffnung der Kommentarfunktion zu agieren. Politisch gesehen könnte es ein Auftrag an öffentlich-rechtliche Medien sein, Chancen auf Aufmerksamkeit diskriminierungsfrei herzustellen, unterstützt von Open Source Software.
Grundsätzlich kann es nicht bei der laxen Praxis der Handhabung von Konflikten durch die Online-Plattformen bleiben. Denn sie sprechen derzeit Recht in eigener Sache. Für Nutzer ist der Prozess nicht transparent, der Eingriff schlecht vorhersehbar und unvermittelt, Rechtsmittel sind faktisch ausgeschlossen. Die Lösung kann nur sein, sich formell an Recht zu orientieren. Erstens Nutzungsbestimmungen zu vereinheitlichen, zu erläutern, mit Entscheidungsdokumentationen anzureichern. Zweitens Gehör zu verschaffen – hier ist auch die Politik gefragt, Plattformen für die Verfahrensdauer zu entlasten. Und drittens eine neutrale Instanz zu schaffen, die anbieterübergreifend über Publikations- und Kontosperren sowie andere Maßnahmen entscheidet.
Aufgrund der überragenden Bedeutung der Meinungsfreiheit gehört dies alles weder rein in die Hand von privaten Konzernen noch darf es staatlichem Durchgriff ausgesetzt sein. Eine unabhängige Position mit eigener gesetzlicher Stellung, vielleicht wie ein Ombudsmann oder nach Art von Landes- und Bundesdatenschutzbeauftragten oder als öffentlich-rechtliche Stiftung wären die richtigen Instanzen, an die sich diejenigen wenden könnten, die im Wunderland der Plattformen Gegenstand von Konzernen und deren Algorithmen werden.
Das Auslöschen des Cooper-Blogs wirft am Ende eine sehr grundsätzliche Frage auf. Wer sind wir, wenn wir im Wunderland Internet uns auf den diversen Plattformen mit Bildern, Texten, Filmen und Kommunikation verwirklichen? Eingeborene, Künstler, Kopierer – oder vielleicht doch nur Mieter, Gäste und zahlende Kunden, denen man jederzeit im virtuellen Reich der Kreativität und der Kollaboration die Stellung entziehen kann? Was der Fall Cooper lehrt ist, die Verhältnisse allen Bloggern, Surfern, Facebookern usw. zu verdeutlichen. Es gilt die Weisheit, eher die Maßregel der Internet-Indigenen: „Die Cloud“, das ist nur die Bezeichnung für „anderer Leute Computer“.
Wenn durch dieses krasse Beispiel ein paar Leute ins Nachdenken über „ihre“ Blogs und Homepages bei Mega-Plattformen kommen, ist das zumindest ein nützlicher Nebeneffekt.
Ich kann es höchstens bei Privatpersonen nachvollziehen, dass ihnen ihr Mischthemenblog kein Befassen mit Selbsthosting wert ist. Aber alle Profis, die in vollen Vertrauen ihre Werke ausschließlich den Algorithmen der Giganten anvertrauen, sind m.E. unglaublich leichtsinnig bis naiv!
Dabei ist Selbsthosting ja doch kein Hexenwerk, für ein paar Euro im Monat kann man sich bei unzähligen kleinen und mittelgroßen Hostern in DE Webspace mieten (die also deutschem Recht unterliegen). Word-Press zu installieren, ist auch keine mega-schwierige Hürde und personalisierbare „Themes“ von der Stange gibt es zu Hauf!
Und wer mit seinen Werken Geld verdient bzw. die Heimseite als Basis seiner Profession nutzt, dem sollten auch ein paar hundert Euro für den Service eines Webworkers nicht zuviel sein für die Freiheit und Selbstbestimmung, sowie die Rechte und Klagemöglichkeiten, die bei einer normalen Geschäftsbeziehung mit dem Hoster entstehen.
Temporärer, digitaler „Besitz“ schafft Abhängigkeiten mit dem Computer anderer, egal ob gestreamte Musik oder alle jemals verfassten Blogposts. Früher heiß die Cloud mal Server, klingt halt komsich, ist aber eine Cloud. Eine Technologie ersetzt nie komplett die Andere, sie findet zu ihrer Kernfunktion und schaltet den Lärm aus. Ich denke der Kern des Bloggens liegt im dezentralen Internetz, auf eigenen Servern, weniger im fast wolkenlosen Kalifornien.