Es ist gut nachvollziehbar, dass man sich hier und da über den Schutz von Verlagen angesichts der Schwierigkeiten, im Internet für ihre Leistung Umsatz zu erzielen, Gedanken macht. Ich kann und will mich an den filigranen Diskussionen unter Medienfachleuten nicht beteiligen. Mein Blickwinkel ist strategisch und wirtschaftlich, und vielleicht kann ich etwas zum Ganzen beitragen.
Die Unterstützung von Verlagen durch einen gesetzgeberischen Eingriff in den Markt setzt voraus, daß erstens das Problem überhaupt dauerhaft besteht. Doch der Misserfolg von Paid Content ist meines Erachtens angesichts der Fortschritte z.B. beim Micropayment und der unausgeschöpften Chancen von neuen Formaten, Services und exklusiven Inhalten keineswegs gewiss.
Zweite Bedingung für einen gesetzgeberischen Eingriff ist, dass die Begründung des VDZ, „daß sich die Presseunternehmen gegen eine unentgeltliche Ausnutzung ihrer Angebote im Internet zur Wehr setzen müssten“, überhaupt materiell richtig ist. An „unentgeltlicher Ausnutzung“ bestehen Zweifel, denn das Ergebnis der Verlagsleistungen, der Inhalt eines Artikels, kann ohnehin vollständig nur auf einem Verlagsangebot konsumiert werden – die Leistung ist eben nicht in Gänze auf einer Suchmaschine konsumierbar. Für Headline und Teaser stellt sich zudem die Frage, ob diese überhaupt schutzwürdig sind. Auch die Argumentation mit dem unbestreitbaren Faktum, daß sich viele Leser im Internet mit Artikel-Headline, -Bild und -Teaser auf der Suchmaschine begnügen, für sich allein reicht nicht, denn dieser Fakt kann auch ein Indiz dafür sein, dass der Langtext nicht nachfragekonform ist, weil für jeden Text ein Überangebot von hunderten gleichartiger Texte vorliegt. Selbstverständlich sinkt die Klickrate auf Links, je mehr gleichartige Texte es gibt. Das klingt hart und ist es auch, nämlich rational marktwirtschaftlich betrachtet: Es gibt keine Nachfrage für den hundersten Aufguss einer Agenturmeldung.
Soweit mit der Sorge argumentiert wird (die ich teile), dass Qualitätsjournalismus als Institution gefährdet ist, muss jedoch für einen gesetzgeberischen Eingriff der Beweis erbracht werden, daß nur auf diese Weise journalistische Qualität erreicht und erhalten werden kann, um den freien Meinungsbildungsprozess in der Demokratie zu sichern. Doch dieses kann man bestreiten, schließlich könnten sich Inhalteersteller am Ende des Disruptionsprozesses langfristig in anderen rechtlichen und organisatorischen Konstellationen wiederfinden und auf andere Art dasselbe Ergebnis erzielen. Wer also mit der Gefährdung von Qualitätsjournalismus argumentiert, sollte dies mit Fakten für das zu kurierende Symptom unterlegen; ein Umsatzeinbruch allein zeigt hingegen nur, dass die gegenwärtige Geschäftsmodelle oder schlicht deren Umsetzung mangelhaft und nicht marktkonform sind.
Wenn man all die obigen Argumentationsprobleme beiseite läßt, ist die Lösung jedenfalls nicht ein Leistungsschutzrecht. Und zwar deswegen, weil es im kapitalistischen Wirtschaftssystem ein ganz normaler Vorgang ist, dass ein Unternehmen eine Wertschöpfung erzielt. Wir sehen hier das interne Unternehmenssystem nach Porter:
In einer abstrakten Lieferkette sieht es so aus, dass dem wertschöpfenden Unternehmen Lieferanten vorgeschaltet sind, auch ein Klassiker-Diagramm in der Unternehmensstrategie:
Wendet man dieses Strategie-Basismodell auf Zeitungsverlage konkret an, so sieht die Wertschöpfungskette bei Zeitungsverlagen in etwa so aus:
Was also will das Leistungsschutzrecht schützen? Das Erreichen einer Wertschöpfung ist notwendige Bedingung für den dauerhaften Erhalt eines Unternehmens in einer Marktwirtschaft. Was immer auch Verlage mit Leistungen von Autoren tun (Qualitätssicherung, Lektorat, publizistische Bündelung etc.), es ist das Wesen ihres Kerngeschäftes. Außerhalb der Medienbranche genießt kein Unternehmen rechtlichen (!) Schutz zum Erhalt seines Geschäftes. Insbesondere dann nicht, wenn es seine Position nicht gegen Angreifer verteidigt, die in seine Domäne eindringen, sondern stattdessen freiwillig die Voraussetzungen dafür schafft.
So ist beispielsweise unter Retailern die Situation nicht anders als bei Publishern. Suchmaschinen und Aggregatoren übernehmen den Abschnitt der Produktinformation im Kaufprozess, und zwar – siehe Google Squares – mit Hilfe semantischer Technologie weit mehr als bisher sichtbar, so können Produkte beziehungsweise Produktattribute verglichen, sortiert, gefiltert und mit Inhalten verknüpft werden. Dies bedeutet seit 15 Jahren eine Veränderung der Retailbranche und ist vor allem für Vollsortimenter ein Problem, die wie publizistische General-Interest-Angebote “entbündelt” werden und durch Preissuchmaschinen unter Druck geraten. Kein Verband und keine einzige Führungskraft aus dem Retail-Markt ruft hier nach dem Gesetzgeber.
Wer Verlagen beistehen will, muss dies in einer marktwirtschaftlichen Ordnung auf andere Weise tun. Es gibt viele andere Möglichkeiten (Steuern, Kulturabgaben, Subventionen, USt-Befreiung etc.), wenn man denn das Problem überhaupt so wie eingangs sieht und bewertet. Ein Leistungsschutzrecht aber ist systemwidrig.
Dieser Text erschien zuerst auf Carta.