20.03.2011

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Datenschutz und Privatsphäre – Herausforderungen

Auf einer Veranstaltung der Denkfabrik der CDU Sachsen zum Thema „Eine Ordnung für die digitale Welt“ habe ich mit namhaften Vertretern aus Politik und Wirtschaft vor einigen hundert Zuschauern diskutiert.

Denkfabrik, Forum 6, Internet (v.l.n.r. Prof. Scheer BITKOM), Peter Batt (BMI), Jan Kottmann (Google), Frank Bergmann (CDU/CSU-Fraktion), C. K., Prof. Martin Schulte (TU Dresden, Lehrstuhl f. öff. Recht)

Denkfabrik, Forum 6, Internet
(v.l.n.r. Prof. Scheer (BITKOM), P. Batt (BMI), J. Kottmann (Google), F. Bergmann (CDU/CSU-Fraktion),
C. K., Prof. M. Schulte (TU Dresden, Lehrstuhl f. öff. Recht)

Meine Meinung: Die Themem Datenschutz und Privatsphäre lassen sich nicht mehr so wie früher diskutieren. Leider habe ich keine Lösung parat und soweit ich darüber nachdenke, ist es jedenfalls kein fertiges Konzept. Hier dennoch eine Liste, wo sich Grundlagen der Datenschutzsystematik heute verändern:

  • Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen Hoheitsträgern und privaten Unternehmen hinsichtlich der Gefahren, kurz- und langfristig. Zwar verkenne ich nicht, dass wir in einem Rechtstaat leben und eine 60jährige Periode von Wohlstand und Frieden erleben. Doch liegt der mögliche Mißbrauchszeitpunkt personenbezogener Daten sehr weit in der Zukunft, nämlich ein Menschenleben entfernt (Beispiel: heute erhobene Krankheitsdaten von Embryos mit Genschäden). Der Staat ist a priori nicht weniger gefährlich als private Institutionen, da er als einziger Gewalt ausüben darf. Wenn man ihn dennoch für weniger gefährlich halten möchte, weil er als Rechtsstaat legitim handelt, muss man eine positive Prognose über den Bestand des heutigen Rechtsstaates bis 2090 machen, und dies kann man meines Erachtens nicht. Insbesondere in Deutschland halte ich dies für einen ahistorischen Standpunkt.
  • Seit Dritte die Daten von Bürgern ins Netz stellen (Beispiel: Bilder auf flickr und Facebook), hat sich die Gefährdungsstruktur verändert. Hier ist das massenhafte Fehlverhalten kaum kontrollierbarer Einzelpersonen eine große Gefahr, die der Gesetzgeber des BDSG nicht gesehen hat. Diese Gefahr wächst mit der Verbreitung von Videokameras, Handies etc.
  • Ich sehe ein großes Problem darin, dass man eines Tages nicht mehr sicher sein können wird, ob ein Wort privat bleibt. Wir kennen heute schon Kameras in Schlüsselanhängern, die für knapp 10 EUR bei ebay erstanden werden können, und Stifte zum Mitschneiden von Gesprächen. Diese Technologien können zu Veränderungen der Kommunikation führen, da die ungeschützte Kommunikation, mit der man sich versuchsweise Positionen nähert, erschwert wird. Zugleich nimmt Fixierung der bisherigen mündlichen Kommunikation (schriftlich, aber auch Audio=mündlich) jeder Äußerung die Flüchtigkeit. Hier wird sich Kommunikation selbst ändern, und das nicht unbedingt zum Positiven, wenn wir nicht achtsam beim Einsatz neuer Technologien sind.
  • Die Grenze zwischen „personenbezogen“ und „nicht personenbezogen“ passt in der interpersonellen Kommunikation nicht. Wer sich äußert, tut dies situativ, intuitiv, in Abhängigkeit vieler Faktoren und auch in Kenntnis der Fähigkeit des Empfängers, eine Information zu verarbeiten. Das heißt eine Information lässt sich kaum ohne Kontext und Empfänger (und dessen Beziehungsgeflecht sowie ggf. auch Macht- und Kontrollstrukturen) einordnen.
  • Die Datenmengen künftiger Kommunikation führen eventuell zu einer anderen Bewertung der Situation. Beispielsweise sind massenhaft verfügbare Bewegungsdaten jedes Bürgers im Sekundentakt technisch absehbar, eine Bewertung sollte jetzt schon vorweggenommen werden.
  • Zur klassischen Struktur von Personenattributen kommen Algorithmen hinzu, welche die Personendaten erst in Beziehung mit z.B. statistischen Daten zu einem „Gesamtwerk“ verweben, das kritisch sein kann. Dies betrifft beispielsweise Wahrscheinlichkeitswerte von Kriminalität, Bonität, sexueller und politischer Orientierung. Diese Ebene ist eine der größeren Bedrohungen, weil sie das menschliche Vorurteilswesen abbildet und für jedermann Aussagen verfügbar macht.
  • Die hergebrachte Sicht betrachtet nur ein Datensilo, z.B. einen eCommerce-Anbieter oder eine Behörde oder einen adressensammelnden Verlag. Die neuen Risiken liegen aber zum einen in der Zusammenführung von Datensilos (schon heute lassen sich in USA Datensätze von eigenen Kunden mit Zugehörigkeit zu sozialen Netzwerken und Fremdabonnements kaufen), zum anderen im systematischen Handel mit allen diesen Daten durch Unternehmen, die dies weltweit in einer Grauzone tun.

Nachtrag: Dieser Beitrag wird von einigen Lesern anders verstanden, als er gemeint war. Mir ging es darum darzustellen, inwieweit sich Grundlinien der Diskussion ändern. Meine Motivation ist dabei, zu einer verbesserten Struktur in der öffentlichen Diskussion beizutragn, die wichtiges von unwichtigem und kurzfristiges von langfristigem unterscheidet. Ich glaube, dass in der Öffentlichkeit momentan der Fokus auf die falschen Themen gesetzt wird. Politische Diskussion müssen mit dem Horizont von 5 Jahren geführt werden und nicht ständig anhand geänderter Datenschutzbestimmungen irgendeines Dienstes.

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