22.12.2011

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Von der „Netzpolitik“ über „Digitalisierungspolitik“ zum Digital Change Management

Beim c´t Onlinetalk zu  „Internet – Deutsche Parteien links und rechts vom Netz“ (Details) habe ich, moderiert von Philip Banse, mit Falk Lüke und Anne Roth über den Stand der Netzpolitik diskutiert. Anhören kann man das hier.

Ich sage übrigens im zweiten Drittel „sogenannte Netzpolitik“, weil ich mir vor dieser Sendung überlegt hatte, was ich darunter verstehe und wie es richtiger wäre. Das Ergebnis ist, dass wir durch den Begriff „Netzpolitik“ wir uns zu sehr auf das Netz konzentrieren, wenn wir politisch denken. Richtiger ist es, das Netz als eine Phase der Digitalisierung zu sehen, denn seit ca. 1970 ändert der Computer unsere Strukturen, unsere Gewohnheiten, unsere Zusammenarbeit: Effizienz, Workflows, Automatisierung, Zahlengläubigkeit, Transparenz aller Tätigkeiten und in vielen Teilen auch Transparenz ihrer Auswirkungen sind die Folge. Die eigentliche Umwälzung ist die „Digitalisierung“, das „Computerzeitalter“, in dem wir Wissen anders ordnen (nach sozialen Beziehungen, zum Beispiel) oder ordnen lassen (Suchmaschinen, Aggregatoren) und sofern der Referenz auf eine Information noch eine höhere Bedeutung zukommt. So verändert der Computer schon lange ganze Branchen, denkt man etwa an Logistik: Schiffe können grösser geplant werden, besser gesteuert werden, Beladung wird schneller bewegt.

Man fragt sich doch des öfteren: Was haben Urheberrecht, Medienordung und Netzpolitik gemeinsam? Schliesslich werden sie ja häufig im selben Atemzug genannt.

Die Antwort ist simpel: „Netzpolitik“ ist nur der Bereich, der das Internet als Regelungsgegenstand betrifft (und vielleicht auch noch derjenige, der die Akteure adressiert). Die eigentliche Umwälzung ist die „Digitalisierung“ – genauer: die „Algorithmisierung“ – weil es nicht um eine andere Art der Abbildung von Information, sondern um Prozesse und Gewinnung neuer Information geht. Die Digitalisierung ist eigentlich nur das, was an der äußeren Erscheinung jedermann auffällt: Lochkarten verschwinden, viele Inhalte erscheinen nicht mehr auf Papier.

Das Gebiet heisst also „Digitalisierungspolitik“ oder „Digitalpolitik“. Das Netz ist eine Phase hierin, es bringt die Ubiquität aller Information mit sich: alle Information ist sofort überall, jedenfalls potentiell. Dieser Effekt wird in der Wissensgesellschaft auch die Organisationen noch stärker als bisher verändern, weil die Kommunikation unter räumlich Abwesenden immer leichter wird: das betrifft die Kommunikation selbst (Wie sieht, nach dem Telefon, der „Hangout 5.0“ in 2020 aus?), aber auch Prozesse und Dienste – wir sehen es heute schon bei Doodle, Microjobs, Projektkollaboration. Die Notwendigkeit, in Organisationen räumlich zusammenzuarbeiten, wird wohl von Dekade zu Dekade fragwürdiger – und vielleicht ändern sich auch die Konzepte von Urbanität und Raumplanung, wenn zusätzlich noch die Mentalität „Sharing statt Eigentum“ massentauglich wird, von der Musik bis zum Auto?

Ich denke, auch mit „Digitalisierungspolitik“ oder ähnlichem ist das nicht gut getroffen, was gedacht und getan werden muss. Das Thema ist Change Management vieler Bereiche – bis hin zu Robotern in der Pflege, auch wenn mir diese Vorstellung mißhagt, und bis zu wirtschaftlichen Fundamentalfragen, wie dem möglichen Ende des Wachstums oder der Vollbeschäftigung. Man sollte klar sagen: Informationstechnologie ersetzt Arbeitszeit. Ob sie neue Aufgaben und somit neue Arbeitszeit schafft, ist für die Zukunft unklar, auch wenn einige das Gegenteil behaupten. Wir müssen Wandel gestalten – und dabei sogar die Systeme updaten, wenn sie nicht mehr passen, weil sie für die Beschaulichkeit der Bonner Phase gedacht waren. „Digital Change“. Und weil mir nach solchen Sätzen als Freund des Grundgesetzes immer eine Gänsehaut kommt, weil ich an die Stimmung am Ende der Weimarer Republik denke, sollten wir das Thema „Change“ rechtzeitig in die Hand nehmen.

tl;dr: Aus einer politischen Perspektive sollten wir nicht nur auf das Netz sehen („Netzpolitik“), sondern auf die Digitalisierung als Prozess, der bereits in den 70ern angefangen, durch das Netz eine Beschleunigung erfahren hat und nun in die nächsten Phasen geht. Nach diesem übergreifenden Prozess heisst die Aufgabe „Digitalisierungspolitik“. Die gesellschaftliche Aufgabe ist Change Management, weil die Digitalisierung alle Bereiche schneller betrifft, als die Bereiche selbst schon sehen.

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