Als ich dieses Blog hier startete, sollte es ganz anders sein: schnörkellos, plain text, plain html. Eigentlich so, wie das Web mal gedacht war, oder besser wie es noch ungedacht war: eben ohne Schnörkel und Zusatzelemente. Browser zeigen Text, Überschriften, Links – sonst nichts. Erhabenheit von Kapitälchen beispielsweise empfinde ich heute, nachdem ich tausende von Designbriefings selbst erlebt habe, als leicht durchschaubaren Versuch, sich die Wichtigkeit von griechischen Tempeln zu entleihen. Dass es dann hier doch nicht plain html 5 wurde, so wie das W3C es geschaffen hat, hat mit anderen Menschen zu tun, die mir sinngemäß sagten: „Nee, sowas kann man doch nicht machen“. „Doch, man kann!“ hätte ich rufen müssen, statt mich von verkäuferischer Logik umstimmen zu lassen. Eine stimmige Verpackung, gegen die ja eigentlich nichts einzuwenden ist, macht den Gedanken zum Produkt, zur Ware. Vielleicht weil man sieht, dass kein Zufall am Werke war?
Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wenn nicht lange Texte und wohl auch meine Sprache den Eindruck von dem hervorrufen würden, was man „Publikation“ nennt: Längere Argumentation scheinen wohldurchdacht, so konsumiert man die „Riemen“ wie einen Text bei ZEIT oder FAZ, sagt aha, leikt* und geht.
Ich habe aber an meinem eigenen Leseverhalten bemerkt, dass ich am meisten lerne, wenn ich mit anderen diskutiere – jedenfalls dann, wenn sie konstruktiv und auf das Thema gerichtet sind. Wahrscheinlich hat das mit der alten Tugend des Zuhörens zu tun: wenn sich die Menschen zuhören, fließt das Gespräch. Es fließen auch Texte besser, wenn ich sie einfach so herunterschreibe, wie ich spreche; vielleicht hat es damit zu tun, dass alle Aufmerksamkeit ins Denken und nicht so sehr in ein Modul „Konstruktor“ geht, das ständig Präzision will, Ausnahmen formuliert und noch irgendeinen Gedanken dazwischenschieben will.
Aus irgendeinem Grunde, den ich selbst noch nicht ganz verstanden habe, scheint das Unfertige, Hingeworfene mehr diskursive Wirkung zu haben als die Publikation, der fertige Gedanke. In Gruppendiskussionen entstehen assoziative Ketten, jeder ist mal dran. In so einer Konstellation entsteht Neues, weil Inhalte, Thesen, Ideen aus verschiedenen Ecken bei vielen Mitspielern offensichtlich durch Kombinatorik neue Assoziationsketten provozieren. Ich selbst habe das manchmal, wenn ich mehrere Bücher lese und auf einmal höchst seltsame Parallelen entdecke. Das scheint eine Art Aga-Aga für Kreativität zu sein. Manchmal spüre ich, wie gemeinsam Räume erforscht werden: Jeder schildert eine Beobachtung, erst das macht das ganze Bild. Und mit Nachfragen, Missverständnissen, Definitionen und Konflikten erarbeitet man sich eine Materie, die viel besser „sitzt“ als wenn man sie allein gelesen hätte – vielleicht ein Effekt, den Neurowissenschaftler besser erklären können. Dies sind, wie in den ersten Tagen von Google Plus, eher seltene Momente, und ich kenne sie auch nur, wenn viele der Mitdiskutanten einander ein bisschen kennen und trollabweisend wirken.
Der Zufall will, dass ich gerade sehr müde geworden bin, Twitter und Facebook zu benutzen. Soziale Netzwerke sind ja leider unschlagbar darin, Diskussionen zu tragen und zu fördern, weil diese den „Stream“ an uns vorbeiziehen lassen und man sich wie bei einem Karnevalszug die Bonsches fangen und irgendwas in Richtung Wagen rufen kann, ohne sich dort einzuloggen. Trotzdem werde ich hier die Rubrik „Bunt“ ab sofort mehr nutzen, die seit Jahren schon vorgesehen, aber nie benutzt war. Hier wird es in dieser Rubrik jetzt Hingeworfen-Facebookig. Bookig-bockig, blogig.
* Schreibweise 2030, Duden
Ein Kommentar zu
“Blogig, bookig, bockig”