10.11.2019

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KI als ubiquitäre Technologie für Unternehmen

Wo und wie wird KI künftig zum Einsatz kommen, um Kosten zu senken und Umsätze zu erhöhen? Am Beispiel des Lebensmittel-Onlinehandels zeigt dieser Text Potenziale für den Einsatz von KI in allen Funktionen der Wertschöpfungskette. Es blüht uns also weniger eine Superintelligenz als eine durchgehende, ubiquitäre Verwendung dieser neuen Basistechnologie. Um den Überblick zu erleichtern, gehen wir an den Hauptprozessen entlang und verzichten auf die Erörtung sozialer oder rechtlicher Fragen.

1. Einkauf: Smarter Bestellen und Bepreisen

Ein zentraler Schlüssel für die Ertragskraft des Handels ist das Bestellverhalten: Kauft der Händler zu viel ein, muss er die Ware vergünstigt abstoßen. Kauft er zu wenig, läuft er zudem Gefahr, dass ein Kunde mit seinem Kaufwunsch zum Wettbewerber wechselt und dort zum Stammkunden wird – ein einziger Fehlartikel kann damit fatale Folgen haben. Noch dramatischer ist die Situation im Lebensmittelhandel. Dort muss unverkäufliche Ware weggeworfen oder sehr günstig abgestoßen werden, Warenverluste sind ein Key Performance Indikator. Ebenso, wenn der Kunde „sein“ Markenprodukt nicht bekommt.

Die Lösung für Handelsbestellungen ist Predictive Ordering, seit einigen Jahren auch als Modul von ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) verfügbar. Es berücksichtigt historische Abverkäufe, saisonale Schwankungen, Feiertage, Ersatzartikel und bestimmte Lieferanteneigenschaften wie Mindestbestellmengen und Rabatte. In Zukunft wird es mit KI-Algorithmen noch sehr viel genauer möglich sein, Bestellungen zu tätigen. Prognosen werden auch deshalb besser, weil immer mehr Datenpunkte vorhanden sind, etwa durch Sensorik und Schnittstellen. Eis-Bestellungen könnten dann granular vom Wetter abhängig gemacht werden. „Intelligent Stock Automation“-Lösungen könnten auch den Warenbestand über verschiedene Lagerorte und Handelsstufen optimieren: Ein physisches Produkt wäre dann seltener an einer Stelle „out of stock“, obwohl es andernorts vorhanden ist.

Andere Algorithmen haben statt der örtlichen Dimension die Preisdimension zum Gegenstand. Dynamisches Preismanagement, online vor allem im Reisebereich längst Praxis, kommt über digitale Preisauszeichnung – Electronic Shelf Labeling (ESL), mit NFC-Technologie, WLAN und E-Ink-Displays – auch im Filialsystem an. Es beruht auf automatischer Preisbeobachtung des Marktes und kann auch Preisempfehlungen abgeben, die Abverkäufe so beeinflussen, dass ein Produkt zum optimalen Zeitpunkt im Preis reduziert wird. Das ist vor allem für Saisonartikel interessant, aber auch für Frischeprodukte, die im Lebensmitteleinzelhandel mitunter 40 Prozent des Umsatzes ausmachen.

2. Standort: KI als Entscheidungshelfer

Auch die Standortwahl, einer der Kern-Innovationsprozesse des Handels, ist prädestiniert für KI. Sehr viele Faktoren bestimmen hier die Entscheidung – von der lokalen Kaufkraft und den Verkehrsströmen bis zum Standortwettbewerb und der Bauplanung. „Füttert“ man ein Neuronales Netz mit den Faktoren von tausend Filialen, ist es in der Lage, erhellende Ergebnisse zutage zu fördern.

KI könnte hier die menschliche Entscheidung in diesem Bereich wohl nicht ersetzen, denn die Umweltkomplexität ist sehr hoch: Man darf bei Prognosen über die Chancen von KI nicht aus dem Auge verlieren, wie schnell man in kybernetische Allmachtsphantasien der 1960er-Jahre geraten kann. Dennoch kann KI als Analysetool wertvolle Hinweise geben.

3. In-Store: Den Kunden erkennen

Eine Reihe von Start-ups befassen sich mit den Laufwegen in Filialen. Ein Beispiel ist das slowakische Unternehmen Pygmalios, das Muster bei Kundenbewegungen erkennbar macht: Welche Wege gehen Kunden, wo halten sie sich auf, wo kaufen sie, woran laufen sie vorbei? Aus diesen Informationen lässt sich folgern, wie eine Filiale zu strukturieren ist, wie die Warenanordnung in den Regalen stattfinden sollte und wo Promotionflächen funktionieren. Erkenntnisse über Kundenmengen können auch dazu genutzt werden, Öffnungszeiten zu überdenken oder Personaleinsatz besser zu planen: Ab welcher Verkäufer-Kunden-Relation bricht der Umsatz ein? Welche Folgen haben längere Kassenschlangen?

Diese Fragen sind ein typischer Fall für die Analyse granularer Daten in großen Mengen, die Menschen gar nicht verarbeiten können – die aber, in Echtzeit verarbeitet, auch zu Kaufsignalen „in store“ führen können, etwa an Displays, im Einkaufswagen oder gepusht ans Smartphone. Andere Start-ups sind bereits serienreif mit KI-basierten Videosystemen, die soziodemographische Attribute eines Kunden wie etwa sein Alter erkennen und so ebenfalls Empfehlungen abgeben können. Denkbar sind künftig auch kundenindividuelle Empfehlungen oder gar eine Art automatischer Kauf via Gesichtserkennung.

Bilderkennungslösungen erlauben es auch den Herstellern, bei Kontrollbesuchen im Handel die Regalbelegung mit Smart Glasses zu überprüfen. Über die Erkennung von Personen und Waren beziehungsweise Warenentnahmen funktioniert auch die personenlose Filiale à la Amazon GO. Ob sich dieses Prinzip sozial durchsetzen wird, muss sich noch zeigen. Fest steht aber: Personenlose Filialen mit sogenanntem „Self Checkout“ würden in erheblichem Maße Kosten reduzieren und sehr lange Öffnungszeiten ermöglichen. Optimisten glauben auch an Serviceroboter auf der Verkaufsfläche, die mit Kunden sprechen – auch hier basieren Personenerkennung, Sprachvermögen und Akteurslogik auf KI.

4. Verkaufsanalyse: Was Warenkörbe verraten

Das größte Potenzial für den Handel liegt in der Auswertung vergangener Transaktionen. Wer sich einmal, wie der Autor dieses Textes, tagelang digitale Warenkörbe angesehen hat, weiß, welche Potenziale hier ökonomisch noch schlummern. Als Mensch erkennt man anhand des Warenkorbinhaltes sofort ein Muster, hat den Kunden fast bildlich vor Augen, kann Empfehlungen abgeben und Waren automatisch zum Abo vorschlagen. KI kann das grundsätzlich wohl noch präziser leisten – in jedem Fall aber massenhaft, kostengünstig und schnell.

Diese Logik kann nicht nur, wie oben beschrieben, direkt beim Besuch im Laden zur Anwendung kommen, sondern auch auf digitalen Kanälen, etwa bei Shopelementen und Newslettern, oder in Form von Coupons mit hoher Kaufeigenschaft. Der umgekehrte Fall – der Kunde weiß sehr genau, was er will, und zeigt dem Shop ein Foto – führt zu KI-basierten Ähnlichkeitsvorschlägen. Besonders interessant wird es aber, wenn der Kunde etwas in den Warenkorb gelegt hat und die Maschine eine gute Prognose erstellen kann, ob er den Warenkorb stehen lassen wird: In diesen Fällen ist die KI sozusagen schlauer als der Mensch, der seine Impulse erst nachträglich überprüft, und sie kann dem Kunden vorher schon Incentives anbieten, damit seine Checkout-Entscheidung doch noch zugunsten des Verkäufers ausgeht.

5. Lagerlogistik: Die Roboter kommen

Hat der Kunde bestellt, kommt KI künftig gleich mehrfach in der Lagerlogistik zum Einsatz. Die Lagerorte können ständig optimiert ausgerichtet werden, autonom operierende Transportsysteme lassen „Menschenarbeit“ entfallen, und neuere Kommissionierungsroboter können anhand von Objekterkennung sogar mit zarter „Hand“ empfindliches Obst und Gemüse picken – man sieht solche Pflückroboter bereits in der Landwirtschaft. Die Vollautomatisierung der Intralogistik steht vor der Tür und wird bei großen Anbietern die Stückkosten drastisch senken – schließlich erzeugt eine Lebensmitteltüte mit 20 Produkten heute schnell 2 bis 3 Euro Personalkosten.

Die Schattenseite dieser Entwicklung besteht darin, dass Arbeitsplätze vor allem Ungelernter entfallen – die auch nicht durch Lebensmittelkenntnisse kompensiert werden. Gerade die wichtige Ersatzartikellogik, die bei Nichtverfügbarkeit von Ware über Ersatzprodukte entscheidet (nach dem Prinzip: Hühnerbrust statt -keule), kann von der Maschine sehr gut gelernt werden, indem sie die menschlichen Auswahlentscheidungen einfach imitiert. Dies ist ökonomisch wichtig, weil Kunden sehr unzufrieden sind, wenn sie etwa ein Lebensmittelprodukt nicht erhalten haben, das sie für einen netten Abend mit Gästen benötigen. Im Übrigen gilt: Überall, wo Technik zum Einsatz kommt, kann KI wiederum Ausfallwahrscheinlichkeiten ermitteln und die Wartungszeiten reduzieren, sodass die Lieferfähigkeit besser erhalten bleibt.

6. Distribution: Die optimierte Auslieferung

Auch in der Verbreitung der Ware bietet KI ökonomische Vorteile. Routenplaner wie Google Maps benutzen heute schon prognostische Verfahren, um für einen Ausliefertermin die Fahrzeiten genau vorherzusagen. Ungemein wichtig sind dabei die Park- und Entladezeiten, denn sie entscheiden neben der Verkehrssituation über den Zeitaufwand pro Auslieferung. Künftig wird man über eine Vielzahl weiterer Datenpunkte die Auslieferzeiten noch genauer planen können als bisher – und somit die Anzahl der Stopps je Stunde erhöhen.

Hier spielen Parameter wie Gewicht und Volumen der Ware, Wohnetagen sowie kundenspezifische Zeiten eine Rolle: Wenn Frau Meier alles nachzählt und in bar zahlt, braucht der Stoppunkt doppelt so viel Zeit wie bei Herrn Müller, der die bereits bezahlte Ware ungesehen entgegennimmt. In manchen Branchen kann dieser „Letzte Meile“-Faktor sogar darüber entscheiden, ob das Geschäftsmodell überhaupt tragfähig ist. Auch eine möglichst genaue Prognose der Personalkapazitäten spielt dabei eine Rolle – auch dies kann durch KI erfolgen.

Was KI im Handel kann – und was nicht

KI durchzieht sämtliche Prozesse, von Beschaffung bis Verkauf. Dabei ist die Technik an sich wenig spektakulär, sie besteht aus Deep-Learning-Verfahren, die vor allem wegen der Datenmengen richtig aufgesetzt werden müssen. Ist zum Beispiel die Ersatzartikellogik einmal gelernt, wird sie nach Jahren zu Commodity. Die Vorteile sind geringere Kosten – und eine bessere Leistungsqualität.

Wunder sind aber vor allem dort nicht zu erwarten, wo Menschen ihre Bedarfe äußern. Aus der Anthropologie wissen wir: Der Mensch ist prinzipiell offen in dem, was er entscheidet, und in der Interaktion mit anderen kann im Grunde nichts oder alles passieren. Wir brauchen also keine Befürchtungen zu haben, dass die Maschine unser Inneres durchleuchtet. Eher wird sie uns das Toilettenpapier automatisch bestellen und zu den Erdbeeren die Sahne ausliefern. Und dafür sorgen, dass wir den zwischenmenschlichen Aspekten wieder mehr Aufmerksamkeit schenken können, auch im Handel.

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Studie "Künstliche Intelligenz"

Dieser Text entstand für die Studie „Künsltiche Intelligenz“ des Zukunftsinstitus – wie sich KI als Zukunftstechnologie produktiv nutzen lässt. Zu erwerben hier . Mehr über das Zukunftsinstitut hier.

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Ein Kommentar zu
“KI als ubiquitäre Technologie für Unternehmen”

  1. Mathias Jud sagt:

    Ich schreibe meine Bachelorarbeit über Trends und Veränderungen im Category Management von Discountern, und habe diesen Text äußerst interessant und richtungsweisend empfunden.
    Was mir jedoch gefehlt hat, ist KI im Regal, welche Produkte müssen aufgrund der Abverkaufszahlen neben welchen Produkten auf welcher Höhe platziert werden. Müssen Artikel nach Themenblöcken oder nach Produkt Zusammenhörigkeit platziert werden. Wäre das ohne Digitale Preisleisten überhaupt möglich?

    Sind zu diesen Themen Forschungen betrieben worden? Ich würde mich sehr über eine Antwort freuen!

    mfG
    Mathias Jud

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