25.10.2016

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Save the Link – Warum Oettingers EU-Leistungsschutzrecht jeden angeht

Dass der Link ein zentrales Merkmal des Internets ist, ist eine Banalität. Umso mehr verwundert es, dass EU-Kommissar Oettinger ein europäisches Leistungsschutzrecht (LSR) für Verleger fordert, das also kurze Texteinheiten wie Links mit einem Herrschaftsrecht versieht. Das bedeutet nicht nur, dass Google zur Nutzung zahlen muss, worüber man vielleicht noch unter Umverteilungsgesichtspunkten diskutieren könnte – die Politik greift ja öfter über Steuern, regulationsbedingte Kosten und Subventionen ein, als sie zugeben will. Es bedeutet auch, dass Nutzern diese Links nicht mehr per Suchmaschine bereitgestellt werden, wenn sich zwei Unternehmen nicht einig werden, nämlich ein Verlag und ein Betreiber einer Suchmaschine.

Man kann es gar nicht deutlich genug sagen: Dass Kultur-Monopole (was genau genommen die allseits gewünschte Wirkung von Urheberrecht ist) nicht mehr nur ab einer gewissen Schöpfungshöhe greifen sollen, sondern nun also JEDER kurze Inhalt von Zustimmungen und Zahlungen abhängig gemacht wird, ist ein Novum des LSR. Es kommt auch nicht auf blosse News an, an denen es vielleicht ohnehin kaum mangelt, sondern es ist ausnahmslos jeder Inhalt betroffen. Und noch alarmierender ist es, dass dies zwei Privatunternehmen unter sich ausmachen sollen.

Es gibt reichlich gute Argumente dagegen. Hier die wichtigsten:

  • Juristische Hinweise: auf Linkfreiheit (Paperboy-Urteil des Bundesgerichtshofes, das in Verlinkung keine Veröffentlichung oder Vervielfältigung sah) oder auf etliche kritische Einzelurteile.
  • Wirtschaftliche Argumente: Suchmaschinen sind eine eigenständige Produktgattung, die einen Mehrwert sui generis erbringen. Sie zu betreiben und entwickeln kostet allein Google jedes Jahr mindestens die acht Milliarden EUR, die die gesamte deutsche Zeitungsbranche an Umsatz macht. Umgekehrt zeigen Erfahrungen in Deutschland, dass mit und ohne Verwertungsgesellschaft gar nicht unbedingt zu einer Einigung kommt, die Eignung eines solchen Gesetzes ist also fraglich.
  • Ordnende Gründe: Ein Leistungsschutzrecht ist ein Sonderfall im Urheberrecht und es kann, weil es für den Schutz einer Melange von Werken (wie beim Film) entwickelt wurde, systematisch gar nicht für den Schutz blosser Texte herhalten, das ist die Rolle des gewöhnlichen Urheberrechts. (Eigentlich ist das LSR für Internettexte ein Hack des Rechtssystems!). In diesem Zusammenhang auch bemerkenswert: bei den meisten Tagesmeldungen würde ja nicht nur die erste Meldung, sondern auch die hundertste geschützt – „Abschreiben“ soll also Verlagen erlaubt sein, Google aber nicht? Systematisch ganz besonders unausgegoren ist auch, dass bei einem Überschriften-Text die Verlagsleistung völlig hinter die Leistungen der Urheber (=Redakteure) zurücktritt, eigentlich ein logisches Nullum ist.

Trotz dieser starken Gegenargumente kann man natürlich immer noch der Meinung sein, die Oettinger augenscheinlich vertritt: Ich finde das alles, wie es ist, irgendwie ungerecht für die Verlage, und ich will so gut wie möglich ändern, was änderbar ist.

Diese Denkweise zeigt aber, dass eine Abwägung zu Interessen aller anderen Beteiligten und auch gegenüber grundlegenden Prinzipien einer funktionierenden demokratischen Öffentlichkeit nicht stattgefunden hat.

Ich hole daher etwas aus: Es geht nämlich nicht um „Links“ und „Linkfreiheit“, es geht um weit mehr.

Links organisieren Wissen dezentral

Wie sind Sie hierhergekommen? Vermutlich durch einen Link. Webseiten werden zwar auch durch URL-Direkteingaben aufgerufen, das ist aber die Ausnahme – in 80 Prozent der Fälle gelangt man auf eine Webseite durch das Klicken auf einen Link in einem HTML-Dokument. Interessanterweise nicht nur, weil man von einer anderen Onlinepublikation kommt, sondern auch über ein Bookmark, das einen Link auslöst, und auch mit Google, das ein Dokument über eine Trefferliste verlinkt. Den Link darf man also nicht nur vom Verlinkenden aus betrachten oder nur als Merkmal einer Seite (Informatiker sprechen eher von Presentation Layer oder von Frontend); man muss ihn als Zugriffsmethode auf Dokumente ansehen. Das fällt gerade vielen vom Buch geprägten Medienschaffenden schwer, weil sie mit ihrer subjektiven Kamera nur die Oberfläche sehen, aber nicht die Struktur dahinter. Und es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie Zugriffe auf so große Dokumentmengen möglich sind: entweder über eine Datenbank, einen Index, eine Suchmaschine wie Google. Oder über Links. Der Link ist eine Struktur, welche die entscheidende Information nicht zentral wie bei einer Suchmaschine, sondern dezentral anlegt und später auch dezentral pflegbar macht.

Links markieren Relevanz durch ungeordnetes Zusammenwirken

Man kann also festhalten: Der Link ist nicht irgendwie nur ein Internet-Ding, er ist Teil einer Kulturtechnik, mit der man dezentral Wissen organisieren kann. Vielleicht gäbe es ein Alternativmodell: Es könnte ja irgendwo eine Liste geben, mit der sich Menschen organisieren, die Texte erstellen. Selbst Wikipedia hat ja Listen von Seiten, die man noch erstellen will oder die als renovierungsbedürftig markiert sind und so weiter. Solch ein Alternativmodell kann aber nicht leisten, was mit dem Link geleistet wird: dass jeder an dem Seinen arbeitet und jeder die anderen referenziert, ohne dass die Beteiligten sich irgendwie absprechen („organisieren“) müssten. Ich habe das bei einem Vortrag provokant „Unorganisation“ genannt.

Links ordnen grosse Dokumentmengen

Denn die Beteiligten wissen nichts von der ganzen Personenstruktur (einem sehr großen Netzwerk mit ganz verschiedenen Knotentypen), sie haben keine Rechtsnormen für ihre Tätigkeit, sie treffen sich nicht physisch und sie haben keinen Raum, selten haben sie einen gemeinsamen Zweck, ein großes Ganzes zu erschaffen. Begrifflich ist das eben schwer als Organisation zu fassen, allenfalls vielleicht noch als eine maximal entgrenzte, maximal lose Organisation – Schrödingers Organisation gewissermaßen, die sich bei ihrer Betrachtung auflöst. Was diese „Unorganisation“ zusammenhält, ist eine soziale Praxis, die durch den Link und das Handeln mit ihm vermittelt wird. Der Link ist das zentrale Artefakt einer sozialen Praxis, die aus Handlungen, Texten und eben Links besteht.

So entsteht aus Einzelteilen ein neues Ganzes, nämlich ein Web, das mehr als die Summe seiner Teile ist: Es entsteht ja nicht einfach nur eine Struktur verlinkter Dokumente, es entsteht eine höhere (emergente) Struktur: Was ist wichtig, worüber wird geschrieben und – in einer „social“ Dimension – wer schreibt worüber und worauf genau bezieht er sich? Links sind Markierungen für Relevanz, sind Aufmerksamkeitsmarkierungen. So verbinden Links nicht nur Dokumente, sondern auch Personen. Ohne Links lässt sich Wissen weit schlechter organisieren – und ohne Links würde auch die andere Zugriffsmethode, die Suchmaschine, nicht operieren können. Und zwar nicht nur, weil die Suchmaschine auf der Suchergebnisseite die Trefferseiten verlinkt, sondern auch, weil sie das Web über Verlinkungen erschließt und vor allem durch Verlinkungen die Relevanz bewertet. Dabei sind ja auch die sogenannten sozialen Signale an Suchmaschinen nicht nur Personenstruktur, sondern eben auch auf Social Media geteilte Links. Kurz gesagt: Der Link ist ein unabdingbares Merkmal zur Zugänglichmachung und Ordnung großer Dokumenträume, und das geht natürlich nur, weil der Link maschinenlesbar ist.

Links markieren Relevanz durch ungeordnetes Zusammenwirken

Wer nun den Link gleich heiligt, sei gewarnt: Ganz so revolutionär ist das Web nicht. Nicht nur, dass Hypertext schon ein bisschen älter ist als Tim Berners-Lees CERNStunde 1989; er entsteht 1945 als Konzept im „Memex“-System von Vannevar Bush und wird 1965 von Ted Nelson in Softwarebibliotheken in seinem „Xanadu“ implementiert. Es gab immer schon Fußnoten und Endnoten und andere Verweissysteme in der Schriftkultur. Mit dem Buch als Verkörperung eines Textes wurde dieser Text als Ganzes überhaupt adressierbar. Die Relevanz eines Textes markierten Eselsohren, abgegriffene Buchrücken, herausgerissene Seiten und der Standort in der Bibliothek. Die Umsetzung im Digitalen, die Standardisierung in HTML und die Maschinenlesbarkeit, welche die Grundlage für algorithmische Verfahren für Suche und Relevanz und dergleichen ist – diese drei beziehungsweise vier Gesichtspunkte machen jedoch den Link zur vorläufigen Krönung der Geschichte, der eigentlich nur dadurch ein Zacken in der Krone fehlt, dass der Link immer noch kaputtgehen kann, weil das referenzierte Dokument nicht zugänglich ist.

Links machen Bedeutung erschliessbar

Beziehungen, Strukturen und Leseflüsse, besonders ausgeprägt bei James Joyces Ulysses, Arno Schmidts „Zettels Traum“ und vielerlei experimenteller Literatur. Intertextualität ist eine Grundeigenschaft von Texten: Wer Sprache benutzt, bezieht sich auf Texte. Zitate, Plagiate, Anspielungen sind die plakativsten Beispiele. Sprache ist ein „Spannungsfeld“, in dem Schreibender und Lesender schon durch die Wortwahl in Interaktion mit anderen Texten sind. „Der Text ist ein Gewebe von Zitaten aus unterschiedlichen Stätten der Kultur“, schreibt Roland Barthes zur Intertextualität (mehr hier und hier).

Was Organisation betrifft, gibt es auch traditionelle Fälle eines gewachsenen Zusammenwirkens, die lange vor dem Link existierten. Das ist etwa das Steinmännchen, mit dem Wanderer die Wege markieren; eine Kulturtechnik, die dem Verlinken insofern ähnlich ist, als es einer Jedermann-Fähigkeit bedarf, um in „unorganisiertem“ Zusammenwirken Wissen zu pflegen und sogar etwas logisch Höheres zu markieren, den „Weg“.

Es sei dahingestellt, ob man mit Vannevar Bush an die assoziative Denkweise des Menschen anknüpft oder an Textbeziehungen in Poststrukturalismus und Literaturwissenschaft oder an moderne Ideen von Organisationssteuerung. Der Link ist jedenfalls nicht einfach ein Textstil oder ein Button, er ist die jüngste Erscheinungsform von Strömungen, die hierarchische Ordnung durch (selbststeuernde) Heterarchie, die feste Linearität durch Assoziativität und das zeitliche Nacheinander durch eine gewisse Synchronizität ergänzen. Vielleicht ist es inzwischen sogar umgekehrt, die durch Links geschaffene Struktur prägt unsere Vorstellung von Wissenszugang und -organisation so stark, dass diese Denkweisen begünstigt werden.

Nur rechtefreie Links ermöglichen Informationsordnung ohne Barrieren

Zum einen stellt jede rechtliche Einschränkung eine Barriere für die Kultur des Verlinkens dar. Wer nicht weiß, ob er verlinken darf, muss googeln, lesen, einen Anwalt befragen – all dies wird der Verlinkungskultur schaden. Ein Urteil des EuGH, das sich nur auf kommerzielle Nutzung bezieht und obendrein auf einen Sachverhalt, bei dem der Verlinkende wider besseres Wissen ein zweites Mal einen Link auf rechtswidrige Veröffentlichung setzte, ist aus meiner Sicht wertungsmäßig gut nachvollziehbar. Diese Art der absichtlichen Verlinkung schädigt andere und dies nur, damit der Verlinkende selbst einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt. Trotzdem muss man davor warnen, diese Rechtsprechung auszudehnen, wie man auch davor warnen muss, ein Leistungsschutzrecht durchzusetzen, das sich gegen private Nutzer richtet. Es schädigt die Gesellschaft in ihrer Kulturtechnik der Verlinkung, weil es Barrieren schafft. Die moderne Technikgeschichte ist voller Beispiele von Innovationen, die Barrieren abgeschafft haben, etwa die Weltpostvereinigung mit einheitlichen Gewichtsklassen. Die Globalisierung ist voller Abschaffung von Sonderfällen, Hürden und Abweichungen, die jeder Freund des Freihandels sich wünschte. Umso verwunderlicher ist es nun, dass ausgerechnet Freunde des Freihandels nun Verlinkungsbarrieren das Wort reden. Das kann und wird in der technosozialen Dynamik entweder nicht funktionieren oder der Kultur schaden.

Links machen Kritik adressierbar und transparenter

Zum anderen ist die Linkfreiheit selbstverständlich eine Form der grundgesetzlich garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit, sie ist aber auch ein Kern der Meinungsfreiheit: Kritik als ein Motor der demokratischen Öffentlichkeit und Kritik von irgendjemandem an irgendjemandem setzt voraus, dass der Kritisierte genannt und seine Einlassung wenigstens adressiert werden kann. Eine Kritik ohne Kritisierten ist denklogisch nicht möglich. Wer sich das neben der kulturellen Bedeutung des Links für das kollaborative Zusammenwirken und für die Wissensorganisation und den Zugang zu Wissen vor Augen führt, der muss den Link zwar nicht für heilig erklären; er wird aber sehr vorsichtig sein, seine Benutzung irgendwie zu regulieren oder einzuschränken. Wer das in Erwägung zieht, sei es zum fragwürdigen Vorteil von Verlagen oder um seine Vorstellung von Mitverantwortung durchzusetzen, muss sich selbst massive Kritik gefallen lassen.

Fazit

Vor diesem Hintergrund ist klar: Die rechtliche Monoplisierung von Links durch ein Leistungsschutzrecht betrifft alle, nicht nur Google. Sie beeinträchtigt die Qualität von Suchvorgängen, indem sie die Ergebnisse verschlechtert – in einer modernen Wissensgesellschaft ein Unding. Sie ignoriert die Struktur von Kritik, die uns der Buchdruck gebracht hat, und sie schädigt Kulturtechniken wie das „unorganisierte“ Ordnen von Wissen, die uns besonders das Web erschlossen hat.

Für diesen Text diente meine Kolumne bei Merton als Grundlage, sog. Selfie-Remix.

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12 Komentare zu
“Save the Link – Warum Oettingers EU-Leistungsschutzrecht jeden angeht”

  1. Im Gegensatz zum deutschen Leistungsschutzrecht ist Oettingers Gesetzesvorschlag für ein EU-Leistungsschutzrecht NICHT auf News-Aggregatoren oder Suchmaschinen beschränkt. Im Gegenteil: Facebook, Twitter und Pinterest sind explizit in Kommissionsdokumenten oder von Oettinger selbst als erwünschte Ziele erwähnt. Der Gesetzesentwurf sieht entgegen der Beteuerungen der Verlagsverbände keinerlei Ausnahme für die private oder nichtkommerzielle Verwendung von Snippets aus – oder eine Bagatellgrenze. Außerdem soll davon nicht nur das Zugänglichmachen von Snippets, sondern bereits das bloße Speichern (Kopieren) betroffen sein. Es würde übrigens auch rückwirkend für alle bestehenden Links gelten. Das Problem ist also noch größer als hier beschrieben!

  2. vera sagt:

    Zudem geht es um einen geplanten Schutz-Zeitraum von 20 Jahren je Vorgang (was im Hinblick auf Nachrichten allerdings beinahe nicht glaubhaft erscheint).

  3. Diese Idee ist ein mehrfacher Hinsicht skurril, geht aber wohl (einmal mehr) auf Lobbying-Bemühungen, in diesem Fall der Verlage, zurück. Und begonnen hat das ganze schon vor ziemlich genau einem Jahr:
    http://datenschmutz.net/2015-11/die-eu-will-vielleicht-das-internet-kaputt-machen-kein-link-ist-illegal/

  4. Lieber Christoph, danke! Wir verlinken heute mit leichter Verspätung im Perlentaucher. Ich gebe Dir in allen Punkten recht. Aber über einen Punkt sollten wir #LSR-Gegner vielleicht intensiver nachdenken: Müssten nicht auch wir eine kritische Position gegenüber Google und Facebook entwickeln? Du sprichst von „Umverteilungsgesichtspunkten“. Sollte man dies nciht vielleicht auch angeregt von #WeAreTwitter, im Sinne eines offenen Netzes weitertreiben? Auch Google und Facebook diohe,n Information zu monopolisieren.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Lieber Thierry,
      mit dem „offenen Netz“ läufst Du bei mir „offene Türen“ ein. Ich bin der Meinung, dass man Open Source, Technologie-Wissen und Organisationsbildung und Geld mit Unterstützung der öff Hand zusammenführen muss, dazu gibt es hier im Blog zB den Text „Code for Germany“, meinen Programmvorschlag.
      Die Übernahme eines Anbieters wie Twitter erscheint mir hingegen eher verwegen. Twitter macht massive Verluste, ist grossteils schon Open Source, hat neuerdings fragwürdige Features. Ich habe den Mitstreitern vorgeschlagen, so etwas neu zu bauen, es ist auch keine Raketentechnik. Nur kostet es eben nicht nur die x00 K, die zB ein Diaspora hatte und dabei Code-Grütze erzeugte, es kostet schon 2-3 Mio EUR initial und dann dieselbe Summe nochmal im Jahr. Auf jeden Fall möchte ich niemandem raten, Aktien an Twitter zu kaufen – das Unternehmen ist ohne massives Restrukturierungsprogramm nicht überlebensfähig, man bietet mit Private-Equity-Häusern mit, man muss grosse VCs befrieden und dann noch ohne ein sturmerprobtes Management diese Firma führen. Wer wirklich an die Macht der Crowd glaubt (früher hätte man „verbraucher“ gesagt“), sollte es mit ihnen bauen, und dabei auch rechtlich richtig konstituieren, statt eine amerikanische börsennotierte AG sich ans Bein zu hängen. Den Pathos von „Wir sind das Volk“ hätte ich dabei aber nicht. Es ist für mich kein Problem, wenn Twitter stirbt. Es wird etwas neues geben. Und ich denke, die sozialen Beziehungen sind stärker und finden sich neu. Man sieht das bei jedem neuen sozialen Netzwerk, wie die Kreise umziehen und in sehr kurzer Zeit den Social Graph kopieren.

  5. Lieber Christoph,

    1. „Ein Leistungsschutzrecht ist ein Sonderfall im Urheberrecht und es kann, weil es für den Schutz einer Melange von Werken (wie beim Film) entwickelt wurde,“

    Das ist nicht richtig. Das Leistungschutzrecht schützt gerade nicht die Werke (der Urheber), sondern ausschließlich Leistungen, die im Zusammenhang mit diesen Werken von natürlichen oder juristischen Personen erbracht werden. Dazu bedarf es auch überhaupt keiner Melange. Komponist A schreibt ein Lied oder ein Instrumentalstück, Künstler B singt oder spielt es, Plattenfirma C bringt es heraus. B und C haben dann Rechte an dieser ihrer jeweiligen Leistung, also der Interpretation der Komposition und der Aufnahme (klassisch: auf einen Tonträger). LSRe sind daher auch kein Sonderfall im Urheberrecht, sondern „verwandte Schutzrechte“, die lediglich im Rahmen des UrhG kodifiziert wurden.

    2. Thierry Chervel…
    … spricht einen wichtigen Punkt an: Es ist wichtig, nicht den Konzernen Google, Facebook & Co. auf den Leim zu gehen, sondern sie mit mindestens der gleichen kritischen Distanz zu beobachten wie etwa den (eher kleinen) Springer-Verlag.
    Tatsache ist, dass Google, um Treffer anzeigen zu können, Werke von Urhebern ohne Lizenz auf seinen Servern speichern muss. Nach deutschem Urheberrecht ist dieser Vorgang von keiner Schrankenregelung wie etwa dem Recht auf Privatkopie gedeckt. Da diese Speicherung (technically speaking: dieser Kopiervorgang) für Google unstrittig die Geschäftsgrundlage für Aktivitäten in Deutschland bildet, ist vollkommen logisch, dass die Inhaber der Rechte Anspruch auf eine Entschädigung in welcher Höhe auch immer haben. Dies müsste primär den Urhebern zugute kommen, in eingeschränktem Umfang aber natürlich auch den Leistungsschutzberechtigten (wie Schauspielern, Sängern, prinzipiell allerdings auch Medienunternehmen).

    Es ist also alles nicht so simpel. Klar ist, dass es sich bei so einem Massengeschäft (mit im Einzelfall marginalem Umfang, also „Kleinvieh macht viel Mist“) um ein klassisches Beispiel für kollektive Rechtewahrnehmung handelt. Sprich: Hier können nur Verwertungsgesellschaften etwas wuppen. Das Problem mit den Links lässt sich sehr einfach lösen, indem man analog zur Privatkopieschranke eine Privatlinkschranke setzt und dafür entweder die lächerlich niedrige Geräteabgabe ein wenig anhebt oder – was konsequent gegenüber den traditionell unfairen Geräteherstellern fairer wäre – eine Urheberrechtsabgabe auf Onlinewerbung einführt.

    Niemand hat ja ein wirtschaftliches oder sonstwie geartetes Interesse daran, dass die Verlinkung zum Erliegen käme, also ein Chilling Effect einträte. Die Medienunternehmen haben ebenso wie wir Urheber ein Interesse daran, an der Erträgen aus dem Verkauf der Milch der Kühe, die unser Gras fressen, beteiligt zu werden. Und dieses Geld liegt in Kalifornien (bzw. in den Steuerparadiesen, in die kalifornische Konzerne es umleiten). Wenn wir uns für einen Kampf der IT-Multis gegen die Medienunternehmen instrumentalisieren lassen, statt mit diesen – notabene mit politischer Hilfe – einen modus vivendi zu finden, schaden wir uns selbst.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Lieber Ulf,

      zu Deinen beiden Bemerkungen:
      1. Ich verstehe nicht, was an meinem Satz über das LSR nicht richtig sein sollte.
      – „Sonderfall im Urheberrecht…“ dann meine ich damit eben nicht den Prototyp (und damit den Normbereich) im UrhG, der den Urheber schützt, der ein Werk erstellt hat.
      – „und es kann, weil es für den Schutz einer Melange von Werken (wie beim Film) entwickelt wurde“ erklärt bzw spezifiziert die Aussage von eben. Rechtlich schützt nämlich das Leistungsschutzrecht nicht das Werk, sondern eine Organisation zur Erstellung eines neuen Werkes. Ich halte es daher auch für richtig, in einer POLITISCHEN Diskussion es als SONDERFALL herauszuarbeiten, denn es schützt nicht den URHEBER, sondern eine WIRTSCHAFTLICHE Organisation. Man sollte hier sehr genau hinsehen, denn Verlagsbranche hält ein LSR mit ihrer ORGANISATORISCHEN Leistung für begründbar, ich aber nicht. Da muss schon sehr viel zusammenkommen, dass die Bündelung von Autor, Coverdesigner, Lektor etc einen SELBSTÄNDIGES Recht begründet. Das ist der seltene Fall, wo eine Branche für den Kern ihres Geschäftes Schutz verlangt – und ich wüsste nicht, warum genau sie es erhalten sollte, nicht jedoch auch viele andere Organisationen.
      2. Ich würde nie bestreiten, dass ein LSR den Autoren ausnahmsweise wirtschaftlich nützen kann, aber begründet man so die Änderung der Gesetzeslage? Geht das durch den kategorischen Imperativ? Denn erstens, wie ich oben ja ausgeführt habe, gibt es eine Reihe von Kollateralschäden – wie lautet denn darauf Deine Antwort? Und zweitens ist ja völlig unklar, warum ein LSR überhaupt zu Zahlungen führen wird, weil es die Frage wieder in Hand von Google legt, ob das geschieht. Drittens sehe ich noch gar nicht, warum Google mit der Snippet-Indexierung Rechte von Urhebern verletzt – es handelt sich ja nicht um ein Veröffentlichen. Einer solchen stimmen aber Verlage tatsächlich faktisch oder sogar explizit zu (robots.txt, aktive SEO-Massnahmen etc) – dazu gibt es doch sogar ein BGH-Urteil.

      Generell tue ich mich damit schwer, eine Debatte zu führen, die das Recht als Werk zum Interessensausgleich nutzt. Das ist in dieser Konstruktion unlauter. Gegen eine Abgabe auf Online-Werbung hingegen spräche nichts, das wäre ein sauberer Weg, denn dies ist die Verdienstquelle. Alles andere ist „hintenrum“ und eine Verschleierung der Kostenströme für den Endkunden. Am Ende zahlen natürlich Verbraucher über den Marktpreis aller online beworbenen Güter. Daher bin ich auch gegenüber Abgaben wie der Geräteabgabe eher kritisch. Man lastet Kosten so um, dass sie der Verbraucher trägt – und das pauschal zugunsten einer Berufsgruppe.

  6. Hinter „konsequent“ habe ich im vorletzten Absatz ein „und“ vergessen.

  7. Thorsten sagt:

    Ich denke, man sollte Google und Facebook skeptisch gegenüber stehen und bestrebt sein, ihren Einfluss zu mindern. Die Verlage wollen das aber gar nicht (die wollen nur ein größeres Stück vom Google-Kuchen) und das LSR trägt dazu auch nicht bei (das hat Google nur gestärkt, da Google im Gegensatz zu möglichen Konkurrenten, einen Freibrief von den Verlagen bekommen hat…).

    Und auch wenn das Gesetz gut gemeint ist, ist gut gemeint, nicht gleich gut gemacht und auch wenn Herr Öttinger bekräftigt, dass sich für den privaten Gebrauch von Links im Internet nichts ändern soll, sehe ich hier die Gefahr dass die nächste Lawine an Abmahnungen losgetreten wird.

    Wenn ich auf meiner Homepage etwas verlinke, ist dass dann noch privat, oder nicht vielmehr öffentlich? D.h. darf ich in Zukunft Links nur noch privat mitteilen? Wenn irgendwo auf meiner (vom Freehoster gestellten) Webseite eine Anzeige zu finden ist, bin ich dann nicht schon kommerziell? Wenn Abmahner im (wohlmöglich Werbeunterstütztem) Gästebuch einen Link samt Überschrift hinterlegt, kann er mir gleich die Abmahnung hinterher schicken? Wird man dann im Null-Komma nichts dazu übergehen, auch hier Google das Feld zu überlassen? „Da mir Links an dieser Stelle zu gefährlich sind, googelt mal nach …“

    Kurzgesagt, glaube ich nicht, dass Herr Öttingers „neuster“ Anlauf etwas an der Dominanz von Google und Co. ändern wird (eher werden europäische Alternativen erschlagen, bevor sie den Platzhirschen (die sich Lizenzen leisten könnten) gefährlich werden können) und erwarte auf der anderen Seite durchaus Nachteile für den einen oder anderen „Otto-Normal-Verbraucher“.

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