09.11.2010

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Sixt – Ein Unternehmen missbraucht die Demonstrationsfreiheit (Carta)

Wer Sixt für ihr Guerillamarketing-Kalkül kritisiert, muss ein spaßbefreiter Spielverderber sein, denn was ist schon passiert? Nun: Es ist das Missverhältnis von durchschaubarem Kommerz, wichtigem politischen Thema und billigem Klamauk, das Unwohlsein macht.

Was hat sich der Autovermieter Sixt dabei gedacht, als sich seine Mitarbeiter oder die seiner Werbeagentur Jung von Matt unter die Castor-Aktivisten mischten und ein Spruchband „Stoppt teure Transporte! Mietet Van & Truck von Sixt!” aufrollten? Man kann es sich denken: Guerillamarketing mit einer „geilen Idee“, die logische Fortsetzung der bisherigen Kampagnen mit Politiker-Konterfeis und dies dank der Kampagnenverlängerung ins Internet praktisch kostenlos. Und der Erfolg gibt Sixt recht, fast 200 Tweets, neun Blogartikel und schon am nächsten Tag Schlagzeilen in der Presse: Bild meldet „Sixt veralbert Castor-Demo mit Werbe-Plakat“, die SZ schreibt über die „Die Provokateure vom Dienst“ und der Freitag „Sixt adelt den Protest“.

Man sollte nicht von Spaßaktionen auf den Mangel an Ernsthaftigkeit auf der Managementetage schließen: Die Provokation war Kalkül, musste Kalkül sein, wenn die Kampagne erfolgreich sein sollte. Erst einige hundert verärgerte Internetnutzer konnten der Kampagne zu Aufmerksamkeit verhelfen, indem sie ihren Protest durchs Internet trugen und sich so versehentlich zu nützlichen Multiplikations-Idioten machten, bis die Kampagne in Massenmedien durchschlug. Der Nutzen einer deutlich sechsstelligen kostenlosen Reichweite lässt Sixt den Schwund einiger tatsächlicher oder potentieller Kunden verkraften. So sagt denn auch ein Unternehmenssprecher in der SZ „Sixt würde das ganze wiederholen.“

Die Sixt-Aktion provoziert ironische Reaktionen. (Foto: Peter Breuer)

Wer Sixt dafür kritisiert, muss ein spaßbefreiter Spielverderber sein, denn was ist schon passiert? Ein paar Billigkräfte haben für die Dauer eines sehr kurzen Videos ein Spruchband hochgehalten und zeigten sich in T-Shirts, und zwar genauso lange, wie es brauchte, um Material für den Zusammenschnitt eines Youtube-Videos zu haben. Menschen kamen nicht zu Schaden, Streitereien gab es nicht und weder Polizei noch Demonstranten wurden in ihrer Tätigkeit behindert. Also kein Problem, alles easy?

Gründe, die Nase zu rümpfen, gibt es dennoch mehrere: Zum ersten handelt es sich um einen Übergriff der Werbung in das System der freien Meinungsbildung. Demonstrationen – egal wofür oder wogegen – sind ein elementares Instrument der Meinungsartikulation und sollten von kommerziellen Auftritten verschont bleiben, um ihre Authentizität zu wahren.

Wer demonstriert, sagt damit „Hier stehe ich und kann nicht anders“, von Krawall- und Spass-Kids einmal abgesehen. Man stelle sich einmal vor, dass das Sixt-Beispiel Schule macht: Sponsoring durch Bandenwerbung, Bustransfers , firmengesponsorte Demonstrantenblöcke (wohlmöglich mit unterschiedlichen Pro- und Contra-Sponsoren) – was kommt noch? Nicht ohne Grund ist es Bestandteil der politischen Kultur in Deutschland, dass sich Unternehmen mit direkten, politischen Äußerungen in Massenmedien sehr zurückhalten und sich anderer Mittel wie dem des Lobbyismus bedienen.

Zweitens nutzt die Kampagne Aufmerksamkeit, die Bürger unter Einsatz ihrer Freizeit für eine Sache gewonnen haben und münzt diese Aufmerksamkeit in eigenen wirtschaftlichen Vorteil um. Dabei gibt sie nichts zurück, sondern sie nimmt sogar in Kauf, dass die Aufmerksamkeit auf Kosten der Versammlungsteilnehmer gewonnen wird. Das ist – solange es ohne Zustimmung der Demonstranten geschieht – zutiefst parasitär.

Drittens eröffnet diese Kampagne ein neues Gebiet im Spannungsfeld von Kommerz, Politik und Spaß. Waren bisher bekannte Politiker die Zielscheiben der Kampagnen, die sich wehren konnten, so sind es nun einfache Bürger, die sich gegen den parasitären Mitdemonstranten nicht wehren können, ohne selbst das Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu verletzen. In dieser misslichen Lage bleibt ihnen nur die Duldung, während Personen des öffentlichen Lebens sich zur Abwehr einer Armada von Fachanwälten bedienen können – dort findet die Auseinandersetzung auf Augenhöhe statt, hier nicht.

Auch mag es sein, dass Humor und Politik nicht unverträglich sind, selbst elementaren politischen „Schwerstgewichten“ wie der Judenverfolgung kann man mit Humor beikommen. Dies erfordert aber eine kunstvollere Form der Auseinandersetzung als das Aufrollen eines flotten Spruches. Es ist das Missverhältnis von durchschaubarem Kommerz, wichtigem politischen Thema und billigem Klamauk, das Unwohlsein macht.

Dies zu schreiben, war ein großes Vergnügen – umso schöner, das Ergebnis auf Carta zu sehen.

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