11.12.2010

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Deep Reading – Short Thinking

Ein tiefes Verstehen digitaler Texte durch eigene Reflexion oder gar ein Nacherle­ben findet beim Lesen zur Informationsaufnahme nicht statt, sagen Neurowissenschaftler. Aber ist das digitale Medium die Ursache oder das, was wir dort mit den Texten machen? Eine Glosse von Christoph Kappes über die Auswirkungen des werbefinanzierten Geschäftsmodells und den konzeptionellen Internet-Mainstream.

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Digitale Texte ändern unser Leseverhalten, sagen Neurowissenschaftler:  Lesen zur Informationsauf­nahme verdränge „Deep Reading“. Ein tiefes Verstehen durch eigene Reflexion oder gar ein Nacherle­ben findet beim Lesen zur Informationsaufnahme nicht statt. Aber ist das digitale Medium die Ursache oder das, was wir dort mit den Texten machen?

Bevor Sie weiter lesen, schauen Sie doch bitte auf das Bild links. Das haben wir extra eingefügt, weil es die Klickrate um Faktor 3 erhöht. Das haben wir gemessen. Und was man misst, das ist dann so. Kann man nichts machen. Bitte jetzt auf den Pfeil klicken, dann haben wir einen Page Impres­sion (Seitenabruf) mehr und Ihr Text Impression ist sowieso zuende.

Das Web wird zu 90 Prozent auf PC-Bildschirmen gelesen, worldwide. Schriften sind dort grobkörniger als beim Buch. Jahrhundertealte typografische Errungenschaften wie Ligaturen gehen leider irgendwie nicht, auch nicht Spationieren und Unterschneidung (zu diesen Begriffen praktische Information, wenn Sie mit der Maus darüber fahren, daher die Unterstreichung, vorsichtshalber rot). Optimale Zeilenbreite aus Jahrhunderten der Lese-Erfahrung ginge wohl, aber diese Breite müssen wir leider unterschreiten, weil wir mehr Platz für anderes brauchen. Rechts ist übrigens auch ein schöner Text, falls Sie diesen hier nicht mehr lesen mögen. Wir würden dann sogar auf dem iPad die Seite ein bisschen blättern lassen, macht die New York Times seit heute sogar im Web, wegen Chrome und so, FlipFlop.

Internet-Sätze sind kurz. Auch komplexe Gedanken pas­sen in 140 Zeichen. Was man nicht so kürzen kann, darüber muss man schweigen (Rilke, Ich fürchte mich so, dpa von heute, kam gerade durch den Ticker).

Wir schreiben für das Internet, mit suchmaschinen­optimierten Wörtern, damit Sie uns finden. Keyword Density, sie wissen schon. (Schade um den Spannungsbogen vor allem bei Leitkommentaren, aber Google sieht den leider nicht, am liebsten bringen wir daher oben das Zauberwort als Spitzmarke an. Wie den Mörder im TV-Programm, müssen wir gleich mal ausprobieren, Super-Idee!) Und ein Cross-Link auf unsere anderen Seiten erhöht den Pagerank – pardon dafür, aber sonst werden unsere Seiten bei Google nicht auf der ersten Seite gefunden. Unsere Texte sind umgeben von 30% Navigation, das muss leider sein; ist bei Büchern ja nicht anders, wenn Sie die mal von der Seite angucken. Und sechs Wer­bebannern je Seite, die nichts anderes bezwecken als… Äh, wo waren wir? Fassen wir uns kurz. Wenn Sie jetzt doch nicht mehr weiter lesen wollen, nicht so schlimm. Vielleicht kamen Sie ja sowieso nur hierher, weil unser Suchwort bei Google irgendwie zu diesem Text hier führt, und keiner weiß warum? Das wäre schade um Ihre Zeit und auch um unser Geld für die Suchwörter. Rechts sind noch mehr Artikel, oder Sie kaufen sich gleich das schöne Buch hier.

Und oben, die 100 Pixel hohe Leiste, die brauchen wir für die Markenführung, die muß auf jeder Seite sein (beim Buch passt sie nur nicht drauf, auf jede Seite). Unsere Marke steht für Inhalt, aber leider, form follows function. Und umsonst ist nur der Tod (schöner Film, übrigens hier). Ach wissen Sie, den Link finden Sie auch selbst.

Dieser Text erschien zuerst auf Carta.

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