28.08.2018

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Erlanger Poetenfest (DSGVO und Entgrenzung)

Ein Podium zur DSGVO, was für mich eine Herausforderung ist, weil ich – die Privatheit als zivilisatorisches Konzept sehr schätzend – die letzten Jahre zunehmend den Eindruck bekommen habe, dass „Datenschutz“ konzeptionell nicht mehr in die heutige Landschaft passt und neu fundiert werden muss. Seit Big Data und KI zum Beispiel kann einerseits theoretisch jede Information „Personenbezug“ haben, andererseits sind diese Informationen zumeist aber kommunikativ unverzichtbar und ohne diesen Maschinenbezug eher belanglos. Das kollektive Klicken von Cookie-Hinweisen wirkt nicht wie eine reflektierte Einwilligung in das Verlinkte – das soll eine „Einwilligung“ im inhaltlich-materiellen Sinne sein, nicht nur formal? Nicht minder unpassend ist die Idee von Verantwortung bei verteilten Systemen, bei denen die Daten von Maschinen geteilt werden – insbesondere Facebook-Alternativen wie Mastodon bauen auf dieser Technik auf, um zentrale Datensilos zu vermeiden. Eigentlich also ein Fortschritt, scheint mir, der nun vom Datenschutz eher blockiert wird. Ich habe mehrfach versucht, hierzu einen längeren Text zu schreiben, und werde meinen Standpunkt hier versuchsweise vor Publikum einmal sozusagen live ausarbeiten. Beim Sprechen merkt man doch leichter, und an den Reaktionen sowieso, wie spruchreif ein Gedanke ist. Was mich über die Unvollständigkeit hinwegtröstet: bei den DSGVO-Kritiken von Sascha Lobo, Enno Park, Marian Weisband ist aber auch mehr als zwischen den Zeilen ein Störgefühl zu lesen. Mit diesen Autoren bin ich mir wohl darin einig, dass eine kenntnisreichere Nutzerschaft entstehen wird, die nicht mehr so paternalistisch behandelt werden muss. In der Praxis haben wir alle nämlich kleine Kniffe, mit denen wir uns schützen, beispielsweise temporäre Mailadresse, Fake-Geo-Angaben, Vermeidung von Schlüsselwörtern und dergleichen.

Im Anschluss geht es dann um „Entgrenzung„. Anlass ist ein Buch des Bibliothekars Knoche über die Probleme bei der Aufrechterhaltung des physischen Buch-Erbes, was „Gewissheiten“ gefährdet. Ich würde dem entgegenhalten, dass auch gedruckte Bücher nicht mit dem Werk zu verwechseln sind, das ist eben doch eine editorische Aufgabe, wie man beispielsweise bei der zweiten deutschen Debatte um die Ulysses-Übersetzung sieht: was in den 1980ern noch gefeiert wurde (Wollschläger), bedarf heute einer editorischen Aufarbeitung. Es gibt häufig nicht das „Werk“, sondern nur diverse Stapel von Blättern mit punktierten Streichungen – und Gewissheit wird damals wie heute (im Digitalen wie im Analogen) durch Referenzen von Werken auf Werke und von Personen auf Werke und Personen auf Personen erzeugt.

http://www.poetenfest-erlangen.de/christoph-kappes

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