16.09.2015

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Facebook & Hass: Maßnahmen, Verantwortung und ein Lösungsversuch

In diesen Tagen wird viel gestritten über die Frage, ob Facebook bestimmte schriftliche Ausführungen löschen muss. Wenn ich hier nur „bestimmte“ schreibe, dann liegt das daran, das schon hier Unterschiedliches gemeint ist: Während die einen von Volksverhetzung (§ 130 StGB) und Beleidigungen und anderen Ehrdelikten (§ 185 StGB ff.) sprechen, sprechen die anderen von rassistischen, rechtsextremen oder (noch allgemeiner) menschenfeindlichen, menschengruppenfeindlichen Äußerungen, manche sprechen von Aufruf zur Gewalt, wieder andere von äußerst aggressivem Verhalten.

Für mich ist klar, dass sich jede Äußerung in jeder solcher Richtungen moralisch verbietet.

Doch zum Kern der Debatte, welche Rolle Facebook dabei spielt: Für mich gibt es keinen Zweifel, dass Facebook gesetzlich verbotene Inhalte löschen muss, wenn es Kenntnis davon hat.[1] Für mich gibt es aber erhebliche Zweifel daran, ob Facebook hierzu die richtige Entscheidungsinstanz ist und ob Löschen überhaupt eine angemessene Reaktion darstellt.

Weg mit Verbotenem

Dass Facebook verbotene Inhalte löschen muss, ergibt sich schlicht daraus, dass sie verboten bzw. strafbewehrt sind, kein Gemeinwesen kann sich ein Auseinanderfallen von Realität und Wertvorstellungen auf Dauer leisten. Straflosigkeit von Strafbarem untergräbt den Rechtsstaat. Auf der Suche nach einem materiellen Grund wird die Lage aber schon etwas unsicherer: Zum Hass aufzustacheln, zu Gewalt– oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Personengruppen aufzufordern ist nämlich keine Volksverhetzung, solange es nicht später zu Straftaten kommt, für die man als Anstifter, Gehilfe oder Mittäter haftet! Man muss das so klar schreiben, damit es alle verstehen. (NB: Anders nach § 111 StGB, wonach die Aufforderung zu einer rechtswidrigen Tat selbst dann strafbar ist, wenn es beim Versuch bleibt. Hier stellt die Rechtsprechung aber engere Anforderungen an die Art der Aufforderung und die Umstände.)

Volksverhetzungsverbot als Friedenssicherung

Verboten wird die Handlung nur, wenn sie in einer Art und Weise geschieht, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, was sich dem juristischen Laien schon durch die ersten zwölf Wörter des Tatbestandes erschließt. Dieses Delikt ist nämlich kein Anti-Rassismus-Delikt, sondern Schutzgut ist der öffentliche Frieden. Der Gesetzgeber will, um es umgangssprachlich zu formulieren, schon Handlungen verbieten, die wenig später eskalieren würden. Die Geschichte der Norm zeigt diese Stoßrichtung: Ursprünglich ging es um das „Aufreizen“ zu Haus- und Landfriedensbruch von „Klassen“ gegen andere „Klassen“. „Meine Herren, der § 130 StGB ist gegen die Sozialdemokratie gerichtet“, sagte der preussische Innenminister Graf zu Eulenburg, über die Bestimmung, die man auch „Revolutionsparagraph“ nannte (zum Ganzen dieses Buch, Zitat auf Seite 59). Und so wird vielleicht auch klar, was die Auslegung so schwierig macht. Es reicht nicht, nur einen Facebook-Kommentar zu lesen, man muss vielmehr den Kontext beurteilen und eine Prognose der Lage anstellen. Einige Amtsgerichtsurteile in jüngerer Zeit sind zweifelhaft, wenn sie wirklich nur, wie in der Presse berichtet, schon aufgrund von Äußerungen ein Urteil fällen. Im Gegenteil, eine Umdeutung der Norm in eine Anti-Hassformulierungs-Norm durch einen Staat, der Äußerungen gegen Gruppen verbietet, ist ein gefährlicher Pfad in neue Sozialistengesetze. Was also bei Normanwendung unbedingt zu leisten ist, ist kein Wörtervergleich, es ist die Beurteilung einer mitunter komplexen Gefahrensituation. Woher sollen Facebook-Teams diese Kompetenzen haben, wenn selbst Amtsrichter danebenliegen können? Es verwundert schon fachlich, wie man auf die Idee kommen kann, ausgerechnet Facebook zum Handeln aufzufordern, das für das Communitymanagement sicherlich keine Juristen, sondern 1-EURO-Mitarbeiter beschäftigt. Soll ReWe jetzt auch Schnellgerichte zu Ladendiebstählen einrichten? Nun ja, sagen die anderen, immerhin macht Facebook Milliardengewinne.

Wie tolerant wollen wir sein?

Nun scheint es ein Meinungslager zu geben, das auf die Facebook-AGB verweist, und das sagt, Facebook solle seine eigenen Regeln endlich (zack!) anwenden. Hiergegen spricht jedoch eine Menge. Facebook-AGB-Begriffe sehen zwar so aus wie eine Gesetzesnorm, sie sind aber strukturell etwas anderes. Gesetzesbegriffe werden ausgelegt, bestritten und in vielen Urteilen und Schriftsätzen geschliffen, bis sie einige Seiten Kommentarbücher füllen. Bei AGB-Begriffen aber wird, solange niemand rechtlich streitet, das ein internes Konstrukt der Facebook-Bürokratie bleiben, die für Nutzer gar nicht transparent wird. Wir haben hier eine Asymmetrie zwischen Beschuldigtem und Gericht, das keine Auskunft gibt und sich auch sonst an keine Regeln hält, sondern bestenfalls einseitige Rechtsfortbildung betreibt, ohne dem Delinquenten Gehör zu verschaffen. Ich habe noch niemanden hierüber laut nachdenken hören, obwohl diese Unterscheidung sehr wichtig ist: Wenn Facebook entschiede, wäre es nicht Recht.

Entscheidungen ohne Regeln befrieden nicht

Recht besteht eben nicht nur aus Paragraph und Subsumtion eines Sachverhaltes, es besteht aus prozessualen Schritten, aus denen eine Entscheidung ihre Legitimität erfährt. Man erhält Beistand, tauscht Schriftsätze, bringt Beweismittel ein, muss Fristen einhalten, hat notwendige Richterqualifikation. Der typische Prozess eines Online-Anbieters ist das vollständige Gegenteil: eine anonyme Instanz handelt (oder auch nicht), so oder so (oder auch nicht), früher oder später (oder auch nicht), mit langer oder kurzer Begründung (oder auch nicht), entschieden von mehr oder weniger qualifizierten Mitarbeitern (oder auch nicht). Es ist klar, dass eine solche Entscheidung subjektiv das Argumentationsniveau eines Vorschlaghammers hat und folglich nicht befriedet, anders als eine rechtsstaatliche Entscheidung, die immerhin diese Chance in sich trägt. Die Idee, dass ausgerechnet Facebook Richter sein könnte, wo es doch schon Partei und Exekutive zugleich ist, ist absurd. Noch absurder wird sie dadurch, dass Facebook durch neue Nutzungsbestimmungen jederzeit zugleich die Regeln ändern kann und somit Judikative, Exekutive und eben auch Legislative ist. Um es ganz klar zu sagen: Wer Facebook auffordert, nach eigenen Regeln Kommentare zu löschen, fordert im Namen der Freiheit ein totalitäres Regime.

My Plattform is my Castle

Hiergegen kann man einwenden, immerhin stimme der Nutzer den Regeln ausdrücklich zu. Das ist zwar richtig, aber falsch. Warum? Weil wir hier intuitiv mit einer Art Hausordnung argumentieren würden, die zu hinterfragen wäre. Die logisch vorrangige Frage muss doch sein: Was gibt eigentlich Facebook das Recht, Kommunikationsregeln aufzustellen? Ich habe mich hierzu schon bei Bloggern nicht beliebt gemacht, die sich gern auf ihr „Hausrecht“ berufen, aber diese Frage muss man stellen. Warum genau ist eine Seite, die in meinem Browser ist, ein Herrschaftsbereich eines Betreibers einer Server-Software? Warum darf ich als Facebook-Nutzer eigentlich fremde Kommentare löschen – nur, weil ich es kann, weil Facebook mir die Funktion eingeräumt hat? Werden so neuerdings Rechtspositionen zugeschrieben, durch ein Sich-Nehmen? Sicherlich spricht viel für die Vorstellung, hier habe Facebook ein Hausrecht und dieses an Nutzer delegiert, und zwar deswegen, weil nur Facebook das Produkt entwickelt und über den Shutdown entscheidet – und weil das eben akzeptiert wird, so werden soziale Normen geschaffen.

Vielleicht ist aber auch alles ganz anders, dass nämlich für Plattformbetreiber Inhalte-Neutralität zu fordern wäre, so wie wir sie ja von Google auch fordern? Diese Betreiber sollen nicht grundlos diskriminieren und sich wie Post und Telekom aus den Inhalten heraushalten, sie sollen Päckchen transportieren ungeachtet ihres Inhaltes. Ganz ernsthaft: Ich glaube daran eher als an die Hausherrn-Regel, weil Facebook kein „Haus“ und Mark Zuckerberg nicht sein „Herr“ ist – und die Frage des Sollens nicht von der Technik abhängt, sondern eine wertende Entscheidung ist. Der Vergleich mit physischen Räumen ist jedenfalls falsch, weil es dort nur eine Herrschaft geben kann, wie wir sie vom Eigentumskonzept her kennen. Und während der blosse Nutzer (Besitzer), der sich in der Kneipe schlecht benimmt, das Besitzrecht des Eigentümers stört, kann dass im Digitalen ganz anders sein: Software kann dezentral sein, Open Source sein, von allen kopiert werden. Ihr Betrieb kann virtualisiert werden, so dass kein Mensch mehr weiss, wo genau sie physisch interpretiert wird. Wer hat die Herrschaft über Torrents, wer hat die Herrschaft über ein soziales Netzwerk im P2P-Betrieb? Ist es wirklich wichtig, wer ein Etherpad als erster aufmacht? Das Eis wird immer dünner.

Ja, die technische Infrastruktur liegt in der Hand weniger, und sie ist die Voraussetzung der darüber liegenden Software- und Kommunikations-Layer. Warum aber sollte ausgerechnet derjenige, der sie betreibt, nun der große Zampano sein, im Kleinen (Blogger) wie im Großen (Facebook). Kann man wirklich mit Ressourceneinsatz argumentieren, wenn diese Ressourcen fast nichts mehr kosten und es auch fertige Install-Scripte gibt? Auch technische Abhängigkeit ist kein gutes Argument, den sonst müsste man den Crypto Officers, die vier Mal im Jahr den Root Key signen, alle Löschrechte für das gesamte Internet geben.

Nein, es geht um eine wertende Zuweisung von Verantwortung, nicht um Technik oder Mühen. Man müsste wohl einmal nach der eigentlichen Begründung suchen, warum wir vielfach meinen, der Anbieter eines (inhaltsleeren) Kommunikationsangebotes solle für Inhalte Dritter haften. Steckt dahinter eine vage Vorstellung, man habe per Installation einen virtuellen Raum geschaffen, wie der Gärtner die Frucht durch das Säen, wie Viktor seinen Frankenstein durch Laborarbeit (schönes Wort)? Das Prinzip leuchtet ein, denn so erfasst man auch bei digitalen Neuschöpfungen lückenlos Verantwortungsbereiche, schafft mehr Haftungsmasse für Opfer, erhält überhaupt eine handlungsfähige Adresse. Trotzdem scheint das nicht lückenlos zu gelten. In der digitalen Welt befindet sich die WLAN-Störerhaftung mittelfristig in Auflösung. Ganz allgemein entwickeln sich Informationstransportsysteme so, dass sie auch die kleinste Barriere wegschleifen. Das Zustandekommen von Kommunikation ist die allererste Priorität, die Selektion verlagert sich von der Mitte zu den Endpunkten hin (-> Inspiration für eine Doktorarbeit). Man findet auch in der physischen Welt gute Beispiele dafür, dass sich das Eigentum „verpflichtend“ dem öffentlichen Interesse zu beugen hat, wo es diese Interessen berührt; viele Vorschriften dienen der Allgemeinheit, beispielweise Feuerschutzvorschriften. Und betrachtet man Facebook-Diskussionen als öffentlichen Raum, so ließe sich mit ein bisschen Phantasie durchaus ein Teil der „Eigentümer“-Macht auf die Allgemeinheit übertragen. Wie wäre es mit einem Open-Source Kommentar-System (wie Disqus), kuratiert von den Neuen Öffentlich-Rechtlichen (NÖR – das sind die Ö-Rs im post-analogen Zeitalter) an dem Menschen vom DRT (Deutschen Roten Text e.V.) oder von der staatsfernen Turing-Unfallhilfe sitzen? Vielleicht sollten wir sogar dafür einen Beitrag zahlen, 5 EUR im Monat für Moderatoren, die die Debatten angebotsübergreifend strukturieren, Second Level Support für Community Manager sind, mit allen zusammen an Regeln arbeiten? Es ist tatsächlich mit dem Social Web kein rechtsfreier, wohl aber ein regelfreier Raum geschaffen, der erst nach und nach sozial verhandelt wird.

Löschen als schwerer Eingriff

Zur Debatte muss man sich noch einmal vor Augen führen, was Löschen überhaupt bedeutet. Zum einen geht es nicht darum, die Reste einer fehlgeschlagenen Kommunikation Tage später zu verräumen; vielmehr ist der Idealfall, dass eine Äußerung sofort gelöscht wird, vielleicht nur in Sekundenfrist. Unsere heutige Vorstellung einer Löschung Tage später ist der Schlampigkeit und dem Unwillen von Facebook zuzuschreiben. Die reine Lehre des Löschens hieße, eine Äußerung schon dann gelöscht zu haben, wenn sie noch niemandem zur Kenntnis geraten ist.  Statt eines Kehrblechs müssen wir uns also einen Korken vorstellen. Wer löschen will, will schon den Kommunikationsversuch vereiteln. Das ist der reinen Lehre nach ein schwerer Eingriff, der gut begründet werden muss.

Privatunternehmen sind keine Polizey

Ich glaube, dass Privatunternehmen die Unterscheidung von erlaubt/unerlaubt nicht zusteht, wenn es um soziale, kulturelle und gesellschaftliche Grenzziehungen geht. Denn erstens handelt es sich eigentlich um hoheitliche Aufgaben, die naturgemäß staatlich sind und bestenfalls vom Staat den Privaten ausdrücklich übertragen werden. Das ist die „polizey“, das Ordnungsrecht zur Abwehr von Gefahren und zur Strafverfolgung, eine ganz originär staatliche Aufgabe schon deswegen, weil sie mit Gewalt ausgeübt wird. Was ist Löschen anderes als „Gewalt“ im weiten Sinne, die Einschränkung der Handlungsfreiheit eines anderen? „Och“, höre ich schon den Community Manager sagen, „ich lösch doch nur“, Aus der Sicht desjenigen, dessen Beitrag gelöscht wurde, sieht der Vorgang aber anders aus. „Och, ich lösch doch nur“ ist die Clicktivismus-Parole der Besserlöschenden. Man kann darüber streiten, ob man Löschen unter einen weiten, ohnehin schon überstrapazierten Gewaltbegriff fassen will. Vielleicht aber könnten sich viele mit einem Begriff wie der „Mikroaggression“ anfreunden?

Privatunternehmen sind nicht neutral

Außerdem sind Privatunternehmen nie so neutral, wie etwa ein Richter wäre. So auch im Falle Facebooks, für das Reichweite und „Engagement“ zählen, ungeachtet einer politischen Position. Deutlich formuliert: Wer Gefällt-Mirs bewirken kann, ist Facebooks liebster Contentanbieter, mit dessen Hilfe Nutzerinteressen vermessen und verwertet werden. Facebook hat also kein Interesse an Löschungen, solange die Atmosphäre im digitalen Raum nicht insgesamt so umkippt, dass die Nutzer weglaufen. Facebook ist Partei, zugunsten der Erregtheit, solange sie nicht sexuell ist.

Staatsorgane sind nicht legitimiert, Private zur Machtausübung anzuhalten

Schließlich, und das ist meines Erachtens das gewichtigste Argument, ist es ein ganz gefährlicher Weg, wenn der Staat Privatunternehmen dazu anhält, gewissermaßen „selbstreguliert“ durch AGB für eine staatlich gewünschte Ordnung zu sorgen. Es ist zwar keine Frage, dass Politiker als gesellschaftliches Führungspersonal selbstverständlich jederzeit von jedermann moralisches und soziales Handeln einfordern können, indem sie sich an die Öffentlichkeit, als Allgemeinheit oder in Gruppen, wenden. Verlangen sie aber –prozess- und regelfrei ! – von Privaten, dass diese ihre Macht nutzen, überschreiten sie die Grenzen ihres Amtes. Das Amt hat ihnen kraft Gesetzes klare Maßnahmenkataloge vorgegeben, in denen sie Macht ausüben dürfen. Politischer Druck durch „Einbestellen“ und „Fordern“ dessen, was nicht parlamentarisch legitimiert ist, steht politischen Exekutivorganen nicht zu. Es weiß niemand, was der Bundestag zu Facebook-AGB sagen würde, wenn es nicht um Datenschutz, sondern um Kommunikationsregeln ginge. Nun spielt, siehe oben, auch die Politik ihr eigenes Spiel jenseits der reinen Lehre. Das aber mit einer Chuzpe, dass es schon etwas wundert.

Der Löschwunsch als Reinigungsverlangen

Schauen wir in eine andere Richtung. Es ist eine völlig naheliegende Forderung, dass etwas verschwinden soll, was nicht erwünscht ist, also rufen wir nach Löschung. Für gesetzlich Verbotenes mag das richtig sein. Was aber ist mit allem anderen, dem legalen „Schmutz“? Medien halten der Gesellschaft einen Spiegel vor, so auch Facebook. Niemand weiß genau, ob der Schmutz schon vorher da war, vielleicht wäre er in der Kneipe zum Vorschein gekommen, im Schützenverein, im privaten Bierkeller, im edlen Golfclub, im Schutz von Ratskeller und Lehrerzimmer. Vielleicht war er nur in Gedanken da, vielleicht wurden auch diese nur durch Facebook-Gruppen angeregt und angestoßen. Jedenfalls aber kommt der Schmutz aus unserer Gesellschaft. Wir dürfen froh sein, dass wir ihn bearbeiten können. So ist denn auch die Wortwahl der Löschbefürworter entlarvend. Wenn Heiko Maas sagt, es müsse „schnell und verlässlich“ gelöscht werden, ohne andere Mittel zu benennen, so hört sich dies nach einem Reinigungsversuch an: der Schmutz muss weg.

Was geschehen ist, kann nicht mehr gelöscht werden

Tatsächlich aber ist vor der Löschung ja schon das Kind in den Brunnen gefallen: Der Beitrag ist gelesen worden, eine Betroffener verletzt, insgesamt sind die Folgen der Kommunikation häufig schon geschehen. Löschen hilft nur für die Zukunft, nicht für die Vergangenheit. Schlimmer noch: die Löschung einer Äußerung zerstört das Gesamtwerk aus Äußerung und Resonanz, denn nur die Resonanz bleibt sichtbar. Es ist so „verlässlich“ (=gründlich) gelöscht worden, dass alle anderen Äußerungen, die sich auf den gelöschten Passus beziehen, gleich mit beschädigt wurden, denn sie sind ohne gelöschten Teil kaum verständlich, eine Antithesen-Sammlung ohne These, eine Phantomdiskussion als Amputationsfolge. Nun mag es Schlimmeres geben, aber brauchen wir nicht so etwas wie digitale Archäologie ganz allgemein, um Spuren der Geschichte zu verfolgen? Wer nun sagt: „Kein Problem, es werden ja fast immer Screenshots gemacht“, zeigt die Problematik des Löschverlangens noch viel deutlicher: Warum soll an einem Ort gelöscht werden, was an einem anderen längst dokumentiert und zugänglich ist? Ich kann mich jedenfalls an keinen Shitstorm erinnern, bei dem nicht eine Kopie des corpus delicti binnen Minuten auffindbar gewesen wäre. Ist es wirklich sinnvoll, Ressourcen für die Löschung aufzuwenden und dabei zugleich Kollateralschäden an Gegenwehr-Artefakten hinzunehmen?

Umdenken von Micro zu Macro

Wir müssen in der digitalen Welt an diesem Punkte umdenken. Besser als die Mikro-Sicht, die immer nur auf den einen Kommunikationsakt, den Täter und das Opfer bzw. die Opfergruppe schaut, ist eine Makro-Sicht auf sozialer Ebene. Was gesellschaftlich verursacht ist, muss gesellschaftlich gelöst und ausgehandelt werden. Zudem ist nichts ohne Resonanz: Die Flut an Hilfe hätte es ohne die Plakate mit „Asylantenflut“ vielleicht gar nicht gegeben – das ist die systemische Sicht auf den Schmutz, im System wird reagiert.

Entgleisungen muss couragiert entgegengetreten werden, durch Einzelaktivitäten, aber auch durch öffentliche Debatten – der Kampf gegen Rechtsextremismus ist ja nicht gerade eine Aufgabe erst dieses Jahrhunderts. Dafür braucht es auch keinen neuen Begriff des „Counterspeech“.

Schließlich sollten diese Debatte von den bloßen Phänomenen wegkommen, die man wie mit dem Radiergummi auslöschen möchte, hin zu einer Debatte um die Ursachen. Denn auch Rassismus und Rechtsextremismus haben Ursachen, zum Beispiel ökonomischer Natur, hängen vom Bildungsgrad ab und der Sozial- und Medienkompetenz. Glaubt jemand wirklich, der seit sieben Jahren arbeitslose, seit fünf Jahren geschiedene Arbeiter aus dem Dresdner Umland, der sich privat mit rechtsextremen Freunden in Haus Montag in Pirna trifft, würde seine Meinung ändern, seine Wut verschließen, wenn jemand seine Kommentare löscht? Es ist ein eigenartig naives, mechanistisches Menschenbild der Löschfraktion zu sehen. Der Mensch als Skinner´sche Black Box, die „Garbage out“ nur produziert, wenn sie zuvor „Garbage in“ bekommen hat. Zugleich zeigt es eine völlige Unterschätzung der Dynamik in politischen Gruppen. Extremismus ist schon deswegen schwer beizukommen, weil die Argumentationsfiguren hermetisch gegen Argumente verschlossen sind und weil gewaltige Gruppendynamik wirkt, unterstützt von Zeichen und Ritualen. Wer hiergegen mit Löschung angehen will, weiß nichts über seinen Gegner.

Was tun?

Was also tun? Ich denke, trotz aller Aussichtslosigkeit bei schweren Fällen ist der Umgang mit „Hasspostings“ eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, die die Gesellschaft weder an Unternehmen noch an ihre eigenen Vollstreckungsorgane delegieren kann. Jeder hat die moralische Pflicht, in seinem kleinen Rahmen wenigstens ein bisschen aufmerksam zu sein und gegenzusteuern, wenn sein Umfeld sich auf den Weg macht, die Schuld für bestimmte Umstände bestimmten Menschengruppen zuzuweisen. Schon hier und bei Stereotypen und Vorurteilen fängt der Weg in den Extremismus an.[2] Verschwörungstheoretikern und obskuren Nachrichtenangeboten muss das Handwerk erschwert werden, zum Beispiel durch neue Formate des öffentlich-rechtlichen Mediensystems, das die Vertrauenswürdigkeit anderer Quellen prüfen kann (durch Factchecking, Rankings, Repliken, einen ganzen „Layer of Trust“ über möglichst viele Quellen).

Schaut man genauer an, was Heiko Maas bewirkt hat, so hat er löwenstark gebrüllt und doch am Ende eine Maus geboren. Facebook prüft einen Beitritt, vielleicht gibt es Gremien, die Vorschläge entwickeln. Facebook deeskaliert so, wird sich aber nicht ernsthaft bewegen – warum sollte das Unternehmen anders als sonst handeln, nämlich wirtschaftlich? Und der Intervention eines Ministers hätte es für Gremien nicht bedurft.

Fazit: Ein Framework für öffentlich-rechtlich hergestelltes Vertrauen

Wenn es richtig ist, dass Unternehmen aus den oben genannten Gründen als Regulationsstellen für Kommunikation der Bürger untereinander nur schlecht geeignet sind, kann es neben Untätigkeit und dem immerwährenden Kampf gegen Extremismus und seine Ursachen nur den Weg geben, über neue Strukturen, Prozesse, Software und Regeln nachzudenken, die am Ende von einer verteilten Multi-Stakeholder-Organisation gesteuert werden. Dass dafür, so steht es auch in der Presseerklärung, diejenigen ihr Schärflein zu den Kosten beitragen, die aus der Massenkommunikation monetären Nutzen ziehen, leuchtet durchaus ein. Es würde aber nicht wundern, wenn wir am Ende eines jahrzehntelangen Prozesses nach zwei BVerfG-Urteilen ganz im deutschen Stil einen Beitragsservice hätten, der Blogger abmahnt, wenn sie nicht ihren Diskursbeitrag gezahlt haben. Daher sollte man lieber jetzt darüber nachdenken, ob man diese Aufgabe nicht gleich irgendwo im öffentlich-rechtlichen Mediensystem ansiedelt. (Das ist bewusst so formuliert. Ich sage nicht: Lasst die ARD die rassistischen Postings behandeln). Klüger wäre es meines Erachtens, unerwünschten Schriftäußerungen wie bisher nur sehr restriktiv mit Löschung zu begegnen, weil das ein Kampf gegen Windmühlenflügel ist. Ursachenbekämpfung wäre Bildung, Arbeit, (Binnen-)Integration deutscher Sozialmigranten und vor allem die politische Repositionierung der öffentlich-rechtlichen Medien, die sich von der Sender-Idee mehr zum breitflächigen Kuratieren entwickeln sollten, und die in einer Gesellschaft, die immer fragmentierter und unübersichtlicher wird, während immer mehr globale Fakten in Echtzeit auf unsere Hirne niederprasseln, die von Verwirrten, Lobbyisten, Spindoctors, Aktivisten zu obskuren Narrativen zusammengeflickt werden, mehr Factchecking leisten und einen ganzen „Layer of Trust“ über alle wesentlichen Inhalteangebote ziehen sollten. Plakativ formuliert: wir brauchen nicht ein WatchBlog, wir brauchen viele, ein ganzes Netzwerk davon, die mit neuen Standards, neuen Verfahren und neuer Software genau das im Internet vermehren, was es jetzt schon so unerträglich macht: Kritik.

————————–

[1] Wobei ich hieran, offen gestanden, Zweifel habe: Die soziale Praxis hat das Strafrecht längst überholt, Beleidigungen sind an der Tagesordnung und werden von Betroffenen eben nicht angezeigt. Durch die Zunahmen an Beleidigungen lernen wir langsam, dass „Ehre“ ein vages Konzept ist, vielleicht nur eine Objektivierung unseres Empört- und Gekränktseins, jedenfalls nicht verletzbar durch jedermann. Der Beleidigende trifft zunächst einmal eine Aussage über sich und sein Urteilsvermögen. Ob er recht hat mit seiner Aussage, hängt nicht von ihm ab, sondern von dem, was wir über das Opfer in Erfahrung bringen können.

[2] Menschen, die wie ich gelernt haben, Alkoholiker zu erkennen, sollten auch hierbei nicht wegsehen, sondern klare Worte sprechen (man achte zum Beispiel auf die Uhrzeiten der Kommentare und die Stimmungsänderungen).

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24 Komentare zu
“Facebook & Hass: Maßnahmen, Verantwortung und ein Lösungsversuch”

  1. Fritz Iv sagt:

    Finde ich großartig. Faszinierend zu lesen, wie viel gute Überlegungen in den Parargraphen verborgen sein können. Und wie viele wichtige Überlegungen von dort angestoßen werden können.
    Ich grübel nur (nicht nur hierwegen) über einen Punkt, der hiermit zu tun hat „Schutzgut ist der öffentliche Frieden“. Wer von Facebook das nachträgliche Löschen von Nazi-Seiten oder Kommentaren verlangt, macht der sich nicht gerade Sorge um das epidemische Potenzial, das Facebook- und netztypisch ist?
    Das ist ja das Vertrackte am Internet, dass die Debatten nie im Raum bleiben müssen, wo sie beginnen, sondern schnell Wellen verursachen, Schlachteifer schüren. Wegen des epidemischen Potenzials scheinen ja auch viele Rechtsradikale im Netz Präsenz aufgebaut zu haben. Insofern soll da vielleicht sogar gezielt „öffentlicher Unfrieden“ hergestellt werden (Putins Petersburger Kommentartruppen sind auch genau darauf aus), denn die Öffentlichkeit findet ja heute auch im Netz statt, und nicht nur auf der Straße. Oder soll als „öffentlicher Frieden“ nur das gelten, was früher damit gemeint war?
    Vielleicht sind die alten Paragraphen speziell fürs Netz offener zu interpretieren, als früher? Sie waren ja für eine Zeit gedacht, als einer vorne das Megaphon in der Hand hatte und der Rest dem „Volksverführer“ mehr oder weniger passiv ausgesetzt war. In Social Media funktioniert das so nicht.. Jede „Aufstachelung“, egal wie niederträchtig, läuft da gleich in Gegenstacheln hinein – der öffentliche Unfriede gehört also in gewisser Weise dazu und ist, das vermute ich auch, ein Modus, der letztlich gesellschaftlich sehr produktiv sein kann, nur leider zwischendurch oft wie eine schreckliche Schlägerei aussieht. Dabei ist die heftige Kontroverse das, was entsteht, wenn die bislang immer eher getrennt stattfindenden Standpunkte endlich einmal direkt aufeinanderprallen (gab’s früher nur sehr selten).
    Es gibt da riesige Strukturunterschiede zur früheren Öffentlichkeit und „Unfriede stiften“ kann paradoxerweise der schnellste Weg zum Frieden sein. Die Hetzereien können dabei immer noch (wie früher) ganz andere „Errsttäter“ haben – durchaus auch klassische Medien, TV vor allem, auch scheinbar seriöse Blogs oder Verlage, die mit dem Irrationalismus Geschäfte machen, und Niggemeier hegt eine chronische Vermutung Richtung BILD. Ist dann der 17-jährige Lehrling, der seine Ausbildungsplatz verliert, der Hetzer oder der Verhetzte? Oder eben beides, weil bei ihm die epidemischen Kräfte des Netzes sichtbar werden, wo wir alle „Täter“ und „Opfer“ zugleich sind? Wer müsste sich da einmal wirklich schämen?
    Wie auch immer, sehr anregender Beitrag. Dankeschön für die Mühe!

    1. Christoph Kappes sagt:

      Bitteschön. Lerne ja immer selbst dabei, eine Art öffentliches Klardenken einer Problemlage. Die Idee, ob man das Strafrecht nicht anpassen müsste oder zumindest für Online-Verhetzung genauer ausdifferenzieren, finde ich verfolgenswert. Ich habe aber auch das Vertrauen in die Gesellschaft, dass sie sich des Themas irgendwann annimmt.

  2. Die Idee eines „NÖR“ als Träger eines öffentlich kuratierten „Layer of Trust“ halte ich für sehr gut und ausbaufähig. Es müsste schon mehr sein als der rein investigative Ansatz von NDR, WDR und SZ, obwohl dies Projekt als factchecking vielleicht in die gewünschte Richtung weist.

    1. Christoph Kappes sagt:

      FÜr mich ist dieser Layer sehr griffig, ich könnte aus dem Stand Skizzen machen: WatchBlogs nach Themen sortiert, mit einem oder besser mehreren Aggregatoren. Bewertungsverfahren analog den Ratingsystemen bei Usercontent oder Produkten, allerdings redaktionell erweitert um eine ständige Struktur von Thesen und Unterthesen, die Argumenten und Gegenargumenten sowie Links versehen sind. Vielleicht auch ein angebotsübergreifendes Kommentarsystem, das von einer Wikipedia-ähnlichen Gemeinschaft gemanaged wird. (Das war jetzt vor allem die Produktseite, es gehören noch Prozesse, Strukturen und Finanzierung dazu).

  3. Christopher Sahnwaldt sagt:

    Du laberst so eine gequirlte Scheiße und hältst dich dabei noch für den größten. Wahrscheinlich haste den kleinsten. Stirb doch bitte einfach möglichst bald.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Lieber Christopher Sahnwaldt,
      da Du mir ja die Echtheit dieses Kommentares gerade bestätigt hast, lasse ich ihn einfach so stehen. Besser kann ich die gequirlte Scheisse kann nicht vereinfachen.
      Viele, herzliche Grüsse
      C.K.

      1. Christopher Sahnwaldt sagt:

        Lieber Christoph Kappes,

        vielen Dank für die souveräne und gelassene Reaktion. Trolle einfach so stehen zu lassen ist oft das beste, was wir tun können.

        Mein Hassposting war ein etwas plumper Test, ob Sie das, was Sie in diesem Artikel vertreten, auch hier anwenden, oder womöglich doch Ihr „Hausrecht“. Ich würde in meinem Blog solche rein destruktiven Kommentare nicht veröffentlichen – und bin insofern nicht ganz Ihrer Meinung. Umso mehr gefällt mir Ihre konsequente Haltung.

        Herzliche Grüße zurück,
        Christopher Sahnwaldt

        1. Christoph Kappes sagt:

          Bei einer rassistischen oder antisemitischen Bemerkung hätte ich nicht freigeschaltet. Weil ich es kann. Danke für die Übung.

          1. mow sagt:

            Ah, ich wollte schon nachfragen.
            Das ist dann aber doch wieder leicht inkonsequent, solange diese Äußerung nicht vor Gericht im Kontext bewertet wurde 😉
            Ich würd’s ja genauso machen, wir haben offenbar ähnliche Moralvorstellungen. Aber wie faßt man so etwas in Formalismen, die nicht mißbraucht werden können?
            „Offensichtliche Rechtswidrigkeit“ ist ‚a slippery slope‘ in Richtung „gesunder Menschenverstand“, und funktioniert, solange wir ähnliche Wertvorstellungen haben. Aber nicht, wenn jemand von der Wahrheit seiner abweichenden Ansicht wirklich überzeugt ist.

            Anderes Thema: Wenn Disqus o.ä. so benutzt würde wie angedacht, würde da eine gewaltige Datensammlung entstehen, die noch umfassender wäre als die von Facebook. Jedenfalls wenn das nicht nur Seiten nutzen, die eh schon überall einen Like-Button einbinden.

  4. Lars B. sagt:

    Ich bin noch dabei, den Artikel zu lesen, aber mir ist direkt im zweiten Abschnitt ein Fehler aufgefallen. Natürlich ist es nicht erlaubt, zu Gewalt gegen bestimmte Personengruppen aufzufordern. Das wäre nämlich eine Aufforderung zu einer Straftat, und die ist strafbar nach § 111 StGB, auch dann, wenn die Aufforderung erfolglos bleibt.
    Vielleicht ist eher gemeint, Gewalt gegen bestimmte Personengruppen gutzuheißen, ohne damit direkt jemanden auffordern zu wollen, diese zu begehen.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Ja, Fehler. Nachgetragen oben als „NB“, danke!

  5. Bera von Sodom sagt:

    Hallo Christoph, Danke für diesen Artikel. Ich bekomme auch immer Bauchschmerzen, wenn ich Politiker sehe, die gesellschaftliche Probleme technisch lösen wollen (z.B. Zensursula). Auch sehr bedenklich stimmt mich vor allem, das quasi in jeder Sendung Werbung für dieses Facebook gemacht wird. Das lässt tiefe Einblicke in die Medienkompetenz der Sender zu. Und alle hängen dann an Zuckerbergs Lippen, ob man auch mal etwas nicht mögen können darf (Dislike-Button).
    Danke nochmals für Ihre Mühe.

  6. Max sagt:

    Ich finde den Artikel sehr gut, wo ich allerdings noch weiterdenken würde, wäre zur Definition von Internet und Raum.

    Mein Ansatz ist hier, dass es sich wahrscheinlich (völkerrechtlich) um einen internationalen Raum handeln sollte, ähnlich der Hohen See. Nationales Territorium wird es wohl nicht sein, da hier die Kriterien nur ungenügend erfüllt sind.

    Konsequenterweise müssten dann User das Recht auf Flaggenwahl haben und den Bestimmungen unterworfen sein, die zum jeweiligen Rechtssystem gehören… 😉

    Das wären dsnn faszinierende Interaktionen mit dem Facebook Customer Service. Google geht bei blogger zB eher den nstionalstastlichen Weg basierend auf der Herkunft der BetreiberInnen und leitet auf nationale domains um…

  7. Sven sagt:

    Der im Abschnitt „Weg mit Ver­bo­te­nem“ beschriebene Aufruf zu Straftaten ist auch strafbar, wenn er erfolglos bleibt:
    http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__111.html

    1. Christoph Kappes sagt:

      Ja, Fehler. Nachgetragen oben als „NB“, danke!

  8. leo sagt:

    In großen Teilen kann ich mich anschließen, vor allem was die Rolle Facebooks bei der Durchführung betrifft. Man muss aber auch die Argumente der Gegenseite sehen, auch wenn dahinter womöglich schlicht Populismus steht bei der Löschung unliebsamer bzw unangenehmer Kommentare in der Aufmerksamkeitssphäre des durchschnittlichen Internetanwenders. Wenn es neben Facebook niemanden gibt, der was dazu sagt, das Facebook alles nur in seinem eigenen Interesse auslegt, und die User das auch nicht wirklich können, dann tut es keiner. Man schießt hier aber über gute Absichten hinaus und hat ggü. Facebook eigene Interessen und Beweggründe einerseits. Und andererseits wegen des hohen Öffentlichkeits- und Verbreitunsgrads ein Regulierungsbedürfnis bis hin zur Strafverfolgung, das so durchaus auch von vielen gewünscht wird oder notwendig geworden ist, da man das in einem all zu öffentlichen Raum in bestimmten Fällen einen negativen Einfluss haben kann. Demokratisiert wird Facebook dadurch aber leider noch lange nicht, der Konzern ist ja nicht nur in Deutschland tätig und deswegen gibt es zB. in Russland oder Asien eigene soziale Netzwerke. Im Gegenteil tauchen da wiederum neue Gefahren auf. Meine Ansicht ist aber, dass niemand verpflichtet ist, an Diskussionen auf diesen Plattformen teilzunehmen. Man hat es versäumt möglichst freie und unabhängige Alternativen zu schaffen. Denn gäbe es die, würde man heute womöglich gar nicht darüber diskutieren. Nicht zuletzt hat es aber auch eine politische Dimension mit dem digitalen Fahrplan in Deutschland, wo hohe wirtschaftliche Interessen von einer so hohen Bedeutung reinspielen, dass man diese als Sicherheitsinteressen bezeichnet. Das Paradoxe ist vor allem, dass sich vor 10 Jahren kaum jemand dafür interessiert hat und man sich immer diese Themen vom Leib halten wollte. Jedoch kann man durchaus befürchten, dass die Politik hier auch Schaden anrichten kann, wie das in einigen anderen Bereichen zu sehen ist wie Störerhaftung. Möglicherweise steht am Ende die vollständige Regulierung des Internets und aller Kommunikationswege, da sollte man stets wachsam sein, dass es da keine Machtkonzentrationen gibt, sondern stets ausgewogene Mitbestimmung oder Gewaltenteilung in weitestem Sinne gibt.

  9. Bernd Bandekow sagt:

    Auch wenn ich den Ausführungen komplett zustimme, noch eine Anmerkung zum Löschen in „ihrem Browserfenster“. Das was da als Kommentar im Browser steht ist ja nicht der Kommentar, sondern nur eine Kopie des Kommentars, der physisch in ausgerichteten magnetischen Teilchen auf einer Festplatte liegt, die Facebook gehört. Und auf diese physisch vorhandenen Sachen dürfte der Betreiber schon sein „Hausrecht“ geltend machen können. Das einzige was man als Verfasser eines Kommentars vielleicht geltend machen könnte (bin kein Jurist) wäre IMHO das Urheberrecht, das man aber mit der Nutzung im Normalfall „freiwillig“ abgibt.

  10. leo sagt:

    Etwas wollte ich noch kurz anmerken: Die Löschung von Kommentaren oder die Schließung von Kommentarbereichen insbesondere bei den ÖR ist eigentlich eine total verpasste Chance. Denn eben hier hätte man überhaupt die Möglichkeit zum Dialog, zur Diskussion oder Information, Bildung, Aufklärung und Problemlösung. Ich finde das sollte in Deutschland einfach möglich sein.
    Man ist sich gar nicht darüber bewusst, was man verpasst und eigentlich verliert und welch großartigen Nutzen das für die Allgemeinheit haben kann, wenn man die Möglichkeiten der modernen Kommunikation richtig einsetzt, statt engstirnige Eigen- oder Unternehmensinteressen zu verfolgen. Das Potenzial wird da bei weitem nicht ausgeschöpft.

  11. sven sagt:

    Warum gibt es hier keinen flattr-Button?
    Vielen Dank für diesen Beitrag.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Sobald Geld ins Spiel kommt, ändert sich die Struktur einer Beziehung.

  12. Benjamin sagt:

    Vielen Dank für diesen, meiner Meinung nach sehr intelligenten und durchdachten, Beitrag. Leider lese ich Artikel dieser Art in letzter Zeit viel zu selten.

    Viele der grundlegenden Thesen sollten ja eigentlich jedem von Anfang an als erstes in den Gedanken kommen, der an dem grundlegenden Problem etwas ändern möchte.

    Schade eigentlich, das sich scheinbar doch nur sehr wenige Menschen die wirklich wichtigen Fragen zum dem Thema nicht stellen.

    Benjamin W.

  13. Du schreibst einerseits sehr treffend über das „Umdenken von Micro zu Macro“, begehst meiner Ansicht nach aber einen ähnlichen Fehler wie er in der hier zu recht kritisierten Parteipolitik üblich ist: Du denkst das Netz zu klein. Allein die Forderung des Entfernens – zwar nicht von Facebooks Gnaden – von „Verbotenem“ am Anfang wirft doch unmittelbar die Frage auf: „Nach welcher Rechtsordnung?“ Im folgenden hebst Du gleich auf die bundesdeutsche ab, wie es auch in der Politik ganz selbstverständlich gehandhabt wird, wenn vom „Internet“ die Rede ist. Das darf vor allem „kein rechtsfreier Raum“ sein – was in Wirklichkeit meist bedeutet, daß der oder die Betreffende es gerne unter der eigenen Fuchtel hätte, angepaßt an die eigenen Wertvorstellungen oder die mutmaßlichen der eigenen Wählerschaft. In einem weltweiten Medium greift das zu kurz. Wollen wir, das alles weggelöscht wird, was IRGENDWO auf der Welt verboten, behördlich oder kulturell unerwünscht ist? Darüber hinaus fehlt mir ein weiterer Aspekt: es gibt unterschiedliche Kategorien, beziehungsweise Abstufungen von „unerlaubt” – auch dann, wenn man nicht über den Tellerrand der angestammten Rechtsordnung blickt – die hier nicht alle Erwähnung finden: da wären die eingangs erwähnten strafbewehrten Inhalte, die immer verboten sind, da sie den öffentlichen Frieden oder ein ähnliches Rechtsgut verletzen; dann gibt es Rechtsverletzungen im Urheberrechtsbereich, die vor allem wirtschaftlicher und zivilrechtlicher Natur sind – das sind vermutlich die „bestverfolgten“ –; weiterhin gibt es Inhalte, die nicht an sich verboten sind, aber nicht jedermann altersunabhänig zugänglich gemacht werden sollen – Stichwort „Jugendschutz“. Spätestens bei letzterer Kategorie grenzen die üblichen nationalstaatlichen Ansätze ans Absurde. „Jugendfreie“ Dienste aus den USA wie Facebook dulden keinen Quadratmillimeter nackter Haut, während es in derselben Rechtsordnung ausreicht, auf Pornoseiten „Ich bin mindestens 18 Jahre alt“ anzuklicken – dafür braucht man auf einer DE-Domain das Postident-Quasi-Monopol. Deutsche Jugendliche können auch „.COM“ tippen und sie tun es. Dazu fallen der Parteipolitik dann wieder so „wirksame“ Gegenmaßnahmen wie „Jugendschutzsoftware“ (die teils Wikipedia wegfiltert und die sowieso fast niemand benutzt) und „verpflichtende Alterskennzeichnungen“ ein, womit sich dann alle Anbieteter herumplagen müssen (und wieder hoheitliche und psychologische Aufgaben zugewiesen bekommen – nämlich ihre eigenen Angebote dahingehend zu bewerten) – alles für eine gesellschaftliche Randgruppe von unter einem Prozent der Eltern, die auf solchen Unsinn setzt, auf eine Pseudo-Schutz-Maßnahme, hinter der man sich bequem verstecken kann, wenn man sich nicht mit seinen Kindern beschäftigen möchte. Wenn dann klar wird, daß das nichts bringt, werden sicherlich mal wieder Websperren gefordert, um den deutschen Teil des Netzes gewissermaßen einzuzäunen. Wenn dann noch Studien auftauchen, die behaupten, daß die Jugend durch „normale Pornos“ gar nicht geschädigt werde, weil die nicht so dumm sind, Filme mit der Wirklichkeit zu verwechseln, müßte man spätestens mal darüber nachdenken, wie man „Jugendgefährdung“ mißt und ihr wirksam begegnet. Nicht, daß mich nun jemand falsch versteht – als langjähriger und aktiver Pfadfinderleiter habe ich viel für die Jugend und deren Schutz übrig – aber bitte mit wirksamen Methoden und vor realen Gefahren. Ähnliche Überlegungen müssen dann auch im Bereich der allgemeinen Verbote gelten – beispielsweise bei Tatbeständen wie „Volksverhetzung“. Nur weil man solche Inhalte von Facebook verdrängen kann, verschwinden diese nicht aus dem Internet. Sie werden dann eben anderswo auftauchen und sind dann eben dort zugänglich. Wenn wir kein saudisches oder nordkoreanisches Netz haben wollen, führen der Verbotsgedanke nicht zum Ziel. Das „verordnete Wegfiltern“ ist einerseits leicht zu umgehen und hat andererseits auch dann negative Folgen (unter anderem – aber nicht nur – versehentliche Blockierung legaler Inhalte), wenn es im Einzelfall wirkt – der in dem Zusammenhang aus der politischen Ecke oft geäußerte Einwand, man wisse, daß man vor den Nerds und Hackern nichts verbergen könne, aber eben vor der Masse der Durchschnittsnutzer schon, greift zu kurz. Auf so etwas wie ein „Zugangserschwerungsgesetz“ können nur Leute kommen, die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind und einen Referenten brauchen, um eine Suchmaschine zu bedienen. Ausgerechnet die „verführbarsten“ Nutzer, die Jugendlichen, haben genügend Freizeit, um das zu umgehen, was einen Politiker wirksam aufhält. Wie dem auch sei, Dein Ansatz ist eine Überlegung wert, das alles scheint mir indes nicht „national-zentriert“ lösbar, was bei Dir in meinen Ohren aber teilweise anklingt.

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