08.03.2013

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Internet-Startups als Wirtschaftsfaktor – Hefe macht noch keinen Teig

Wenn es einen wichtigen Satz in der Strategie ist, dann ist es dieser: Mache das, was Du kannst, und mache das besser als jeder andere. Oder, moderner und im Tschakka-Modus vorgetragen: Fokus, Fokus, Fokus.

Umso verblüffender ist es, dass seit Jahren gefordert wird, man müsse mehr für Internet-Startups tun, weil Deutschland ins Hintertreffen geraten sei. Diese These und jene Begründung zieht sich seit Jahren durch die Debatten. Sie ist ja „eigentlich“ völlig richtig: Wenn es um Knowhow beziehungsweise Bildung, Kapital, Gründungsbedingungen und rechtliche Rahmenbedingungen geht, und auch wenn es um das Ineinandergreifen dieser Elemente in einem oder mehreren Clustern geht, ist Deutschland nicht so gut wie das Silicon Valley – und es wäre besser, wenn es anders wäre. Die These taucht auf, wenn StudiVZ stirbt, wenn ein deutsches Gegengewicht zu Google herbeigesehnt wird oder wenn Steuerprivilegien für bestimmte Finanzholdings wegfallen sollen. Es ist immer dieselbe Argumentationsstruktur: Wir müssen etwas tun, weil die anderen besser sind.

Schuster, bleib bei Deinen Leisten

Hält man die Forderung des Aufholen-Müssens gegen den oben genannten Leitsatz „Mache, was Du kannst…“, sieht man, dass sie fragwürdig ist. Natürlich kann man immer irgendetwas fordern, und wenn man es nur im Brustton der Überzeugung vorträgt, wird es schon jemand nachsprechen. Aber es ist wenig aussichtsreich, von einem Tante-Emma-Laden zu fordern, er solle ein Supermarkt werden (nämlich 100 Mal mehr Umsatz machen) oder von einem Marathonläufer bessere Kurzstrecken (oder andersherum). Ein Stratege, der wirtschaftlich denkt, würde eine solche Forderung aber nicht aufstellen.

Und der Hauptgrund, warum die These trotzdem häufig zu lesen ist, ist die Verwechselung der wirtschaftlichen mit einer politischen Ebene: Selbstverständlich kann man eine deutsche Alternative zu Google politisch für wünschenswert halten, es macht nur für ein Unternehmen, das marktwirtschaftlichen Regeln folgt, derzeit keinen Sinn. Wer aus politischer Motivation eine unwirtschaftliche Lösung fordert, muss das auch politisch lösen, also z.B. ein Förderprogramm aufstellen oder verlorene Zuschüsse geben. Und selbst wenn er dies (vielleicht sogar zu recht) politisch tut, dann muss er eines ausschließen, dass nämlich ausgerechnet im Erfolgsfall das deutsche Unternehmen vom US-Anbieter gekauft wird –  genau hierauf zielen aber die Exit-Phantasien vieler deutscher Gründer, und wie man im Falle Qype sieht, sind sie nicht ganz falsch. Ein „push to growth“ der Politik kann sich so ins Gegenteil verkehren, nämlich in der Reifephase des Unternehmens zu einem (Aus-)verkauf ins Ausland führen. Und natürlich hören wir alle eine solche Forderung auch deswegen gern, weil sie ein „wir“ enthält und an die Solidarität appelliert: „Wir müssen etwas tun.“ Wer will da schon widersprechen?

Die Achillesferse der Internetgiganten

Nun könnte man meinen, das gelte alles nicht, wenn man inländische und ausländische Startups miteinander vergleicht, die in der selben Unternehmensphase sind. Wenn man auch Google nicht so einfach überholen könne, so würde doch die Stärkung von Unternehmen sinnvoll sein, die sich international in der gleichen Phase befinden, also beispielsweise ein junges Berliner mytaxi-Startup gegen ein Londoner und eines aus San Francisco.

Leider trägt auch dieser Gedanke nicht. Denn erstens ist eine der größten Hürden die Notwendigkeit der Internationalisierung, weil ein ausländisches Unternehmen mit circa viermal so grossem Markt (dem englischsprachigen Markt) auch ein vierfaches investieren kann – deutsche Unternehmen, die nur den deutschsprachigen Raum adressieren, können dauerhaft keine Pole-Position halten. Ausnahmen sind möglich, wenn es lokale Besonderheiten oder Barrieren im Markt gibt (z.B. bei Sprache, Kultur, Recht). Und zweitens ist jeder „pure Player“ im Software-Markt dem Problem ausgesetzt, dass er leichter kopierbar ist als jedes andere Geschäftsmodell. Knowhow verteilt sich über die Köpfe (siehe Fluktuation im Valley), Code „sickert“ zu Allgemeingut (siehe No-SQL_Datenbanken, Hadoop etc.) und Prozesse werden Standard. (Daher die Patentkriege.). Drastisch formuliert: wer Amazon kopieren möchte, braucht außer Software- auch Logistikkompetenz und Logistikinfrastruktur. Wer hingegen Google kopieren möchte, nimmt die besten Köpfe – und hostet seine Suchmaschine bei Amazon oder Facebook. Cloud ist eben Cloud, durch Virtualisierung entfallen die Abhängigkeiten zu allem, was nicht auf dem Software-Layer ist. Das hört sich vielleicht für manchen noch weit weg an, aber genau das kann eines Tages in vielen Jahren die Achillesferse des Silicon Valley werden, dass nämlich das nächste Google aus China oder Indien kommt, weil die Globalisierung langsam die Voraussetzungen dafür geschaffen hat. (Bei der Entwicklung von Foxconn, HTC und vor allem Samsung ist jetzt schon zu beobachten, wie Samsung eine Art Vorwärtsintegration betreibt, die Apple angreift, und die nur deswegen möglich geworden ist, weil mit Android neuerdings ein Betriebssystem verfügbar ist, das mit dem des Platzhirschen mithalten kann.)

Alleinstellung durch Komplexität

Auf Dauer ist es richtig, seine Stärken auszubauen. Diese Stärken liegen in Deutschland nach Umsatz zwar auch in der IT-Branche, aber eben auch in den Branchen Automobil, Anlagenbau, Maschinenbau. Und nun die Überraschung: ein Grossteil dieses Vorteils resultiert aus IT, nämlich Software, die Prozesse steuert, die Benutzerschnittstellen prägt, die Ergebnisse simuliert und die Anlagen planbar macht. Und: während die Deutsche Industrie heute schon Milliardenumsätze mit embedded Systems macht (4 bzw. 20 Mrd EUR pdf, http://www.bitkom.org/de/themen/54926_63352.aspx), wird sie künftig vielleicht noch mehr vom Internet of Things profitieren, bei der dann vieles Endgeräte internetfähig sein werden. Es ist dieses Feld jenseits von Google und SAP, das so wenig sichtbar und so wenig öffentlich wahrgenommen wird, obwohl es wahrscheinlich ein Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist.

Die Komplexität dieser Ensembles aus Software und Hardware zum Beispiel im Maschinenbau ist es, die heute eine starke Position im Wettbewerb ergibt. Ein guter Programmierer braucht nur einen Laptop irgendwo auf der Welt und Zugang zur Cloud, um einen Software-Pure-Player nachzubauen (von Sekundärfunktionen wie Support einmal abgesehen, die aber zunehmend – durch Software – weltweit in entgrenzten Organisationen standardisiert und ortsunabhängig erbracht werden können). Einen Anlagenbauer nachbauen kann nicht, wer nur Software nachbaut – er muss sogar das Knowhow haben, wie man mit Software und Hardware neue Anlagen aus Software und Hardware macht (= Metawissen). Sieht man einmal genauer hin, ist es sogar mehr als das: Ein Produktions-Ökosystem besteht über Software und „Dingen“ hinaus aus spezialisierten Ausbildungsstätten, aus spezifischen Normen, aus einer bestimmten Kultur. (Wer das vertiefen möchte, schaue nach den Ideen von Bruno Latour ). Vielleicht hat sich auch diese Differenzierung irgendwann erledigt, wenn in ein paar Dekaden 3D-Drucker so leistungsfähig sind, dass Fabriken Fabriken bauen, eine solche Annahme wäre mir dann aber derzeit noch einen Hauch zu spekulativ (vgl. hier).

Wegen dieser hohen Komplexität durch Verschmelzung mehrerer Gebiete, wegen der Komplexität durch „Meta“ (Maschinen, die Maschinen bauen…) und wegen der hohen Wertschöpfung und hohen Kopierbarrieren ist es sinnvoll, den Standort zu fördern, indem man „Digitalien“ nicht als Branche, Subbranche oder Nische, sondern als Querschnittsfunktion für andere Branchen betrachtet. Das heisst natürlich nicht, dass reine Online-Startups nicht eine feine, unterstützenswerte Angelegenheit wären, und auch nicht, dass sie nicht prinzipiell erfolgreich sein könnten; man muss nur als Politik auf einem Weltmarkt strategisch denken und die Stärken ausbauen, die man hat. Es wäre übrigens für die Technikgeschichte eher typisch, dass die nächste Innovationswelle unvorhergesehen anders aussieht als das, was wir heute vorfinden: dezentral, weil Kosten gesunken sind, bioneuronano mit Computern verschmolzen – niemand kann es vorher sehen. Es hat aber in keinem Fall Sinn, den Blick auf etwas zu fixieren, das bereits erfunden und erfolgreich ist. Die Disruption der Disrupteure kommt immer aus einer anderen Richtung.

 

 

 

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9 Komentare zu
“Internet-Startups als Wirtschaftsfaktor – Hefe macht noch keinen Teig”

  1. Ich stimme dir da zu. Speziell hier :“Es hat aber in keinem Fall Sinn, den Blick auf etwas zu fixieren, das bereits erfunden und erfolgreich ist. Die Disruption der Disrupteure kommt immer aus einer anderen Richtung.“

    Ich denke aber, was so gefordert wird, würde eben auch den Segmenten nützen, die heute noch gar nicht wirklich sichtbar sind.

    Gefördert werden soll ja primär, indem der Branche nicht immer wieder neue Steine in den Weg gelegt werden, und indem die Digitalwirtschaft von der Politik nicht permanent zu einem Minenfeld gemacht wird.

    1. Christoph Kappes sagt:

      Aus meiner Praxis sehe ich gar keine besonderen „Minenfelder“, wie Du sie nennst, für Netz-Startups. Es ist, wenn überhaupt, ein grosses Minenfeld, das sich gleichartig auf alle Rechtsbereiche verteilt, wobei sich ja auch einiges getan hat (wie Schaffung der Rechtsform UG).
      Welche Steine meinst Du denn? Dass die Gesetzgebung von JMStV bis LSR zum Teil hanebüchen ist, würde ich nicht bestreiten, aber inwiefern hätte das Folgen für Startups? Dass Aggregatoren zum Beispiel nicht aus Deutschland kommen, kann ja nicht monokausal auf ein LSR zurückgeführt werden, weil das viele Jahre nicht wahrscheinlich war.

      1. Die Minenfelder betreffen alle Branchen, richtig. Aber Startups sind strukturell särker von Hindernissen betroffen als „alteingessene“ Unternehmen, die seit 100 Jahren das gleiche machen und ohnehin keine nennenswerten Risiken eingehen.

        Jede Minute, die ein Startup in Deutschland auf Bürokratie-, Datenschutz- und Skeptiker-Management in unterschiedlichsten Formen aufwenden muss, ist eine, die es gegenüber einem Konkurrenten aus anderen unternehmerfreundlicheren Ländern wie den USA oder Schweden weniger hat.

  2. Fritz sagt:

    Ja, sehr richtig. Die deutsche Wirtschaft dackelt mitnichten der Entwicklung hinterher. Die Umsätze und vor allem Gewinne, die mit IT erzielt werden, spielen sich teilweise in Nischen ab (z.B. Produktionssteuerungssoftware, Sensorik, Verkehrstelematik, wenn man so will eine Spielart des Internets der Dinge), übertreffen aber alles an Umsatz und Beschäftigungseffekten, was so ein durchschnittliches kleines „Start-up“ jemals zustande bringt. Bei der leidigen Forderung nach Förderung der „Internet-Start-ups“ wird zudem vergessen, dass nicht jeder Unternehmensgründungsversuch erfolgreich ist. Die Regel ist wie bei der Suche nach neuen Wirkstofen in der Pharmaindustrie – der Misserfolg.
    Von daher ist höchstens noch anzufügen: Welchen Sinn hat es überhaupt, zwischen „Internet-Startups“ und „Start-ups“ zu unterscheiden? Offenkundig keinen. Die bahnbrechenden Innovationen sind ohne hin eher aus den Bereichen Biologie, Nanotech, Energiephysik, Verkehr, etc. etc. zu erwarten.

    1. Christoph Kappes sagt:

      @Fritz: Ich habe gelernt, bei Wörtern wie „offenkundig“ hellhörig zu werden. Warum ist es offenkundig, dass die Unterscheidung keinen Sinn macht?
      Unterscheidung macht meines Erachtens Sinn, weil in der Softwarebranche durch Open Source und bestimmte Software-Architekturen die gemeinsame Nutzung von etwas Entwickeltem strukturell eingebaut ist. Software-Module sind von vornherein ja schon zum „sharen“ da, da ist ihr Sinn (neben der Austauschbarkeit).
      Unter diesem Aspekt macht eine Unterscheidung dann auch wirtschaftspolitisch Sinn, weil jeder Code, der von der öff Hand entwickelt, bezahlt, beeinflusst wird, allen zugutekommt.
      Kurz gesagt: Wenn ein FH-Cluster öffentlich gefördert an Code arbeitet, dann kann der allen zur Verfügung stehen. Ich würde da die Praxis hinterfragen, dass man gleich ausgründet und das Knowhow wieder nur ein Marktteilnehmer hat. Der Erfolg des Silicon Valley beruht eben u.a. auf einer faktischen Austauschpraxis, eigentlich schon seit den frühen Unix-Jahren.

  3. Wittkewitz sagt:

    Oh, ein Hinweis auf Latour und seine ANT. Danke, you made my day. Wenn der schon in diesem Zusammenhang diskutiert wird, dann ist das unseligen Rumgeschrubbere auf der Systemtheorie bald Geschichte…

    1. Christoph Kappes sagt:

      Bitte 🙂

  4. Ich finde Ihren Artikel sehr gut und teile die Beurteilung. Während meiner Jahre in Kempten hatte ich mehrfach Kontakt zu mittelständischen IT-Firmen dort mit dem Fokus Steuerungsprozesse bzw Software zur Herstellung von Steuerungssoftware. Hoch spezialisiert, sehr erfolgreich, international absolut top. Mitarbeiter hatten dagegen wenig Zeit für social media. Hat mein Bild der deutschen IT-Landschaft verändert und geprägt. Es passiert in diesen Bereich der IT-Ingenieure offenbar eine Menge, worauf der Satz zutrifft: Mache das, was Du kannst, und mache das besser als jeder andere.

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