05.02.2016

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Kultur Offener Software als Standortvorteil

Ein Text, der mich ein bisschen mehr Anstrengung gekostet hat als andere Texte. Mir hat ja nie eingeleuchtet, dass „Texte im Internet kurz sein müssen“, weil nicht diese Lesegewohnheiten oder gar das Medium eine Grenze setzen, sondern die Textmenge sich aus 1. dem zu vermittelnden Sinn und 2. dem Ziel des Textes ergeben (im übrigen wird ja der ganze Clutter, der die Lesbarkeit verhindert, mit voller Absicht für Werbung erzeugt: die ersten HTML-Seiten in NCSA Mosaic am CERN sahen höchst aufgeräumt-ergonomisch aus). Sicherlich gibt es Texte, bei denen A eine Information auf B über ein Medium M gewissermaßen „überträgt“ (eine etwas naive Vorstellung, aber das sei hier dahingestellt). Sicherlich kann man der Meinung sein, dass Aufwand und Nutzen eine Rolle bei der Beurteilung eines Textes spielen, die „Ökonomisierung“ findet also auch durch Internetkultur statt. Das ist aber schon deswegen nicht zwingend, weil es viele Textgattungen gibt, bei denen uns Länge ein Qualitätsmerkmal zu sein scheint – etwa kritisieren wir ja auch nicht Krimiautoren dafür, dass sie die halbe Seitenzahl bis zur Aufklärung des Mordes hätten brauchen können. Und es gibt wohlmöglich mehr als zwei Textgattungen, die lese-effizienten Gebrauchstexte und die schön-lang-lese-maximierten Unterhaltungstexte. Die kurzen, leicht lesbaren Texte sind nicht so selbstverständlich, wie uns die Online-Redaktionen mitunter weismachen wollen.

Es geht nämlich nicht so sehr um die Publikation, die erstellt und konsumiert werden soll, wie der Kaufakt als trennender Zeitpunkt aufzeigen könnte: Herstellen – Verkauf – Konsumieren wie bei einer Bratwurst. Lesen ist ein Prozess und in diesem Prozess können Texte auch widerständig sein, seltsame Wendungen nehmen, verstörend wirken, sich erst in drei Schritten erschliessen, tagelang nachklingen. Was für den Autor ein Form gewordener Gedankenstrom geworden ist, bei dem sich der Autor möglicherweise durch Denkarbeit verändert, gilt für den Leser möglicherweise ebenso: nach dem Lesen ist er ein anderer geworden, panta rhei, die nächste Bratwurst wird in einen anderen Menschen geschoben.

Nun ist es wahrscheinlich sehr hohe Kunst, die ich noch lange nicht beherrsche, aber genau das sollte dieser Text leisten. Beim Wandern zwischen den Denkgebäuden wird der von der Überschrift angelockte Commons-Freund durch den Abschnitt über die Vorteile des Eigentums eher nachdenklich, verstört, vielleicht sogar empört sein. Aber auch der Freund der Marktwirtschaft, der den Niedergang der rückständig-zotteligen Gemeingüter wie selbstverständlich nachvollziehen kann, wird am Ende ins Nachdenken kommen. In diesem Text sind Begriffe, die so selten zusammen genannt werden.

Ich glaube, dass wir umdenken müssen: Nach dem Zeitalter der Publikation kommt das Zeitalter des Prozesses. Man braucht natürlich beide, aber Information wird anders organisiert, vom der Struktur zum Prozess. Das gilt nicht nur für einen einzigen Text (micro), sondern das gilt für den gesamten Informationsprozess (auf neudeutsch „Journeys“). Entscheidend ist selten und war selten der *eine* Text (von wenigen Großwerken wie der Bibel, dem Kapital und dem Ulysses abgesehen), entscheidend – und das, was uns ändert ist – der Strom von Texten (neudeutsch der Stream). Die Erwartung, ein Text müsse eine Aussage haben, eine einzige These, mit einem tl:dr zusammenfaßbar sein, diese Erwartung ist eine große Dummheit. Meinungsstücke, wie sie gerade durch das Internet noch mehr als je zuvor Verbreitung gefunden haben, müssen sein, weil sie Orientierung geben. Ein autonomerer Leser wird aber immer mehr zum Gedanken-Picker, bildet sich selbst gern einen Standpunkt ohne Preset-Values, kann auch bei der einen Hälfte des Textes nicken und bei der anderen die Stirn runzeln, denn das Denken findet in seinem Kopf statt und wird vielleicht unter der Dusche einen ganz eigene Wendung nehmen.

Kultur Offener Software als Standortvorteil: http://merton-magazin.de/offene-softwarekultur-als-standortvorteil

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